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Mexikanischer Muralismus. Pioniere der US-amerikanischen Public Art

Der Muralismus des neuen mexikanischen Staats 1921–24

1921 gilt als das Geburtsjahr der modernen mexikanischen Wandbildkunst, des "muralismo". Unmittelbar nach dem Ende des zehnjährigen mexikanischen Bürgerkriegs berief José Vasconcelos Calderón, der Erziehungsminister der Regierung Obregón, mehrere meist unbekannte Künstler, die Patios des Antiguo Colegio San Ildefonso in Mexiko Stadt mit einem Bilderzyklus zu versehen. Die Gemälde sollten den neuen Verhältnissen in Mexiko Rechnung tragen, die mestizische Bevölkerungsmehrheit und Anliegen der neuen Regierung wie die Agrarreform zur Darstellung bringen.

Unter den berufenen Künstlern befanden sich Europastipendiaten (Diego Rivera und José de Jesús Alfaro, genannt David Siqueiros), der Franzose Jean Charlot sowie einzelne etablierte Künstler (Roberto Montenegro). Sie brachten allesamt die Kenntnis der aktuellen Kunstentwicklung in Europa (insbesondere des Kubismus) sowie der Wandgemälde der italienischen Renaissance mit.

Abbildung Diego Rivera, La creación, Escuela Nacional Preparatoria ENP, antiguo Colegio San Ildefonso, México D.F., 1921—23

Abbildung Diego Rivera, Salida de la mina, Secretaría de Educación Pública SEP, patio del trabajo, México D.F., 1923

Abbildung José Clemente Orozco, La trinidad revolucionaria, Escuela Nacional Preparatoria ENP, antiguo Colegio San Ildefonso, México D.F., 1923—24

Vasconcelos versuchte, die Künstler auf Exkursionen zu Stätten antiker indianischer Kunst zu einer Auseinandersetzung mit dieser zweiten Wurzel der mexikanischen Kultur zu bewegen. Insbesondere Diego Rivera griff diese Anregung auf und entwickelte nach modernistischen Experimenten mit Anlehnung an die Renaissance (Colegio San Ildefonso) rasch eine kompakte, erzählerische Bildsprache mit einer vereinfachten, anfangs beinahe hölzernen Figuration (Secretaría de Educación Pública), die mehr und mehr Anleihen aus den indigenen Kodizes, Wandbemalungen und der Skulptur aufnahm. Auch Künstler, die sich nicht an der indianischen Bildkultur orientierten wie José Clemente Orozco, arbeiteten expressiv und stark vereinfachend.

Abbildung Diego Rivera, Fuerzas subterráneas, Capilla de Chapingo, Texcoco, Estado de México, 1925—27

Transfers von und nach den USA

1925, als Vasconcelos als Minister abgesetzt und sein Programm offiziell beendet wurde, hatte sich eine erste Generation von mexikanischen Muralisten etabliert, die ihre Arbeit unter veränderten Vorzeichen fortsetzte. Diego Rivera entwickelte sich um 1929 praktisch zum Staatskünstler (Ministerio de Salubridad, Palacio Nacional) und konnte in den 1930er-Jahren grosse Werke in den USA ausführen. José Clemente Orozco wurde in den 1930er-Jahren in den USA herumgereicht und erhielt gegen 1940 in Mexiko grosse Aufträge. Um 1928 setzte generell ein reger Austausch mit den USA ein. George Biddle, der spiritus rector der Public Works of Art Projects der Roosevelt-Ära (1934), traf Rivera 1928 in Mexiko. Zahlreiche US-amerikanische Künstler suchten Mexiko auf und blieben teilweise dort, oder initiierten mit der gewonnenen Erfahrung eigene Projekte in den USA, so Paul Higgins Stevenson, genannt Pablo O'Higgins, Marion und Grace Greenwood, Ione Robinson, Victor Arnautoff, Edward Millman, die Fotografen Edward Weston und Tina Modotti und manche andere.

Abbildung José Clemente Orozco, Prometheus, Pomona College, Clairmont, CA, USA, 1930

Abbildung José Clemente Orozco, Alegoría Nacional, Benemérita Escuela Nacional de Maestros, México D.F., 1947—48

Abbildung Grace Greenwood Ames, Trabajadores amenazando banqueros, Mercado Abelardo Rodríguez, México D.F., 1934—36

Abbildung Grace Greenwood Ames, Progress of Power, Lexington Post Office, TN, USA

Gegenläufige Bewegungen: während Rivera und Orozco in den 1930er-Jahren in den USA ihren Marktwert mächtig steigern konnten, führten die Schwestern Marion und Grace Greenwood zwar in Mexiko grössere Aufträge aus, konnten in den USA aber danach nie an diesen Erfolg anknüpfen.

Abbildung Victor Arnautoff, City Life, Coit Tower, San Francisco, 1934

Victor Arnautoff, der bereits in Mexiko und dann in Kalifornien und Detroit Rivera assistierte, konnte die Ausführung einer bedeutenden Werkgruppe in San Francisco koordinieren: die Ausmalung des Coit Tower, vermutlich die grösste Kommission unter der Ägide der Public Works of Art Projects PWAP.

Abbildung Pablo O'Higgins, La lucha de los obreros contra los monopolios, Mercado Abelardo L. Rodríguez, México D.F., 1934—35

Der Texaner Pablo O'Higgins liess sich 1924 in Mexiko nieder und wurde dort 1961 naturalisiert für "seine Verdienste für die nationale Kunst und Ausbildung". In den 1930er-Jahren bildete O'Higgins ein wichtiges Bindeglied zwischen der mexikanischen Muralistenszene und US-amerikanischen Ankömmlingen, die Anschluss und Arbeitsmöglichkeiten suchten.

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