Gabriele Koller, Geschichte einer außergewöhnlichen Kunstform (dieser beitrag wurde verfasst in: deutsch)
eingetragen von Alex Winiger am 16.03.2016, 10:34 (email senden)
Die Darstellungs- und Kunstform Panorama wurde 1787 in England patentiert. Das Patent erhielt der irische Maler Robert Barker (1739-18906). 1793 ließ er von Robert Mitchell im Zentrum von London den ersten Panoramabau errichten, ein doppelstöckiges Gebäude, in dem zwei Rundgemälde gleichzeitig ausgestellt werden konnten.
Die panoramatische Historienmalerei will von der historischen Wahrheit ihres Bildgegenstands überzeugen. Die Maler waren deshalb um genaue Rekonstruktionen aufgrund von Quellen bemüht. In Altötting werteten die Künstler z.B. die Beschreibungen des jüdischen Geschichtsschreibers Josephus Flavius aus. Zudem war Josef Krieger 1902 zu topographischen Studien nach Palästina gereist.
Das Altöttinger Panorama ist in einjähriger Arbeit an Ort und Stelle im neu errichteten Zentralbau gemalt, bühnenbildnerisch eingerichtet und am 18.Juli 1903 eröffnet worden. Das außergewöhnliche Kunstwerk wurde von Fugel und seinen Partnern Völkl und Krieger, die 1902 eine Panoramagesellschaft gegründet hatten, ohne Auftrag geschaffen. Ein Panorama als freies Werk der Kunst war damals ungewöhnlich. In der Regel vergaben aus Kostengründen Aktiengesellschaften die Panorama-Aufträge.
Das Panorama in Altötting ist eines der 16 weltweit in den Niederlanden, in Belgien, in der Schweiz, in Österreich, Ungarn, Tschechien, Rußland, in der Ukraine und in den USA erhaltenen historischen Beispiele dieser außergewöhnlichen Kunstform. Sie war im 19. Jahrhundert in den Großstädten Europas und Amerikas sehr beliebt. Für gewöhnlich wanderten die Leinwände durch die dort normiert erbauten Ausstellungsgebäude und wurden dabei verbraucht.
Das Panorama in Altötting dagegen verblieb wohlerhalten am Ort seiner Entstehung und Bestimmung. Seine Generalrestaurierung wurde 1989 im Jahr des 500jährigen Bestehens der Wallfahrt nach Altötting abgeschlossen. Seit 1996 wird dieses Denkmal christlicher Kunst von der gemeinnützigen SPA Stiftung Panorama Altötting betreut, in die die Nachkommen Fugels das Werk unentgeltlich eingebracht hatten.
Als urbanes Massenmedium, nicht aber als Darstellungs- und Kunstform erlitt die Panoramen-„Manie“ zu Beginn des 20. Jahrhunderts zwar einen gewissen Abschwung, der oft mit der Publikumsgunst für den Film erklärt wird. Doch nach wie vor ziehen die erhaltenen Panoramen ein kunstsinniges und historisch interessiertes Publikum an. Viele der historischen Panoramen Europas wurden zudem im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts restauriert: Altötting, Den Haag, Moskau, Murten, Luzern, Szeged/Opusztaser, Wroclaw/Breslau.
Und außerdem: Im 20./21. Jahrhundert sind mehr als 25 neue Panoramen entstanden: in England, Frankreich, Belgien, Rußland, Bulgarien, Ägypten, Syrien, Irak, Nordkorea, China, Australien: in Deutschland 1989 das Bauernkriegspanorama von Werner Tübke in Bad Frankenhausen (Thüringen) und 2002 das Stauferrundbild von Hans Kloss in Kloster Lorch (Baden-Württemberg).
An temporären Städte-Panoramen, die nach malerischen Vorlagen mit Hilfe des Computers hergestellt werden, arbeitet in Berlin Yadegar Asisi und in New York schuf Sanford Wurmfeld 2000 das erste abstrakte Panorama (jetzt im Karl Ernst Osthaus-Museum in Hagen/Westfalen).