dieser beitrag wurde verfasst in: deutsch (ger/deu/de)
verfasserin/verfasser: José Luis Cuevas
titel: Der Kaktusvorhang
+: Novedades (México D.F.), «México en la cultura», 1951; Ruptura, 1952–1965 (Ausstellungskatalog), Museo de Arte Alvar Carrillo Gil, Mexiko, 1988.
«Ich hege keinen jugendlichen Führungsanspruch, noch habe ich vor, Rebellen zu rekrutieren, um die angeschlagene Bastion der Schönen Künste anzugreifen. Ich begnüge mich damit, zu sagen was ich fühle, was zweifelsohne dasselbe ist, was andere Individuen meiner Generation fühlen, ob in der Kunst oder in anderen intellektuellen Tätigkeiten. Sollten meine Verlautbarungen jetzt oder später den neuen Schaffenden dienen, werde ich befriedigt feststellen, eine Pflicht erfüllt zu haben. Auch falls in der Zukunft nichts von all dem, das ich angedeutet habe, fortdauern wird, werde ich zufrieden sein, selbst wenn sich meine ganze Generation arrangieren wird und es aus Feigheit vorzieht, sich im Sumpf zu verkriechen. Die Idee, meinen Dissens mit dieser verdorbenen Situation in den genannten gebildeten Tätigkeiten geäussert zu haben, wird zum mindesten mein Gewissen beruhigen.
Ich kann nicht auf andere Gebiete eingehen. Erlauben Sie mir, mich auf mein eigenes zu beschränken, wobei ich mich diesmal einer Erzählform bedienen werde, die mir für meine Idee besonders passend erscheint. Ich beginne somit meine Erzählung, auf die bildenden Künste zugeschnitten:
Juan ist ein Junge von fünfzehn Jahren. Sein Vater ist Schuhmacher oder Klempner oder Beamter, jener Sorte, die für einen Zustupf von zehn Pesos innerhalb eines Monats im Sinne des Gesetzes lösen, was ohne diesen Zustupf ungestraft in vergeudete Monate münden würde.
Juan wurde mit einer Fähigkeit geboren, die, man weiss nicht aufgrund welchen alten Erbes, in der Bevölkerung der mexikanischen Republik häufig auftritt (diese Fähigkeit, ich muss es vorwegnehmen, ist nicht diejenige des Bestechlichkeit, dieser nationalen Institution, die im Blut des ganzen Landes zirkuliert); es ist die Fähigkeit, eine andere Welt des Unbekannten zu erschaffen – die Welt der Kunst.
In der Primarschule tritt Juan heraus, indem er seine Zeichnungen mit rechtem Sachverstand fertigt. Ein Schulinspektor sieht die Zeichnungen von Juan und empfiehlt ihn seinem Lehrer, der ihn fördert. Dies geschieht unverzüglich, und eines Tages betritt Juan zum Lohn eine Kunstschule. Nehmen wir an, es handle sich um die Esmeralda, um die Fabel fassbarer zu machen. Juan durchläuft alle Klassen mit der Kompetenz, die ihm in der Primarschule zur Verfügung stand. Die Lehrer loben ihn, die Kollegen bewundern ihn, und Juan tritt am Ende mit seinem Abschlussdiplom in der Hand aus. Bis dahin läuft es gut. Mexiko ist ein grosses Land, das allen Möglichkeiten bietet. Sogar die Kinder der Bestechungsgeldempfänger, Schuhmacher und Klempner erhalten Zugang zur künstlerischen Ausbildung. Unser Land – es lebe hoch! – ist ein grosses demokratisches Land. Auf die glückliche Entwicklung meiner Erzählung fällt lediglich vorübergehend ein kleiner Schatten, und das ist, dass sich Juans Vater – als Klempner oder als Bestechungsgeldbezüger – betrogen fühlt, da er denkt, sein Sohn sei arbeitsscheu und die kleinen Zeichnungen alter Nackter das Ergebnis nicht zu sühnender heimlicher Laster. Der Vater von Juan stammt aus dem Dorf, und für ihn und die Seinen wurden vor mehr als dreissig Jahren Wände bemalt, in Fresko und anderen, schnelleren Verfahren. Jedoch war all dies nutzlos. Juans Vater und sein Nachbar und sein Bruder und alle Mitglieder seiner Klasse, die als das auserwählte Publikum dieser Wände galten, haben diese Wände in diesen dreissig Jahren niemals angesehen. Wenn sie etwas ansahen, stimmten sie mit dem Wächter des Gebäudes überein, es enthielte ein grässliches Durcheinander. Andere Freunde des Vaters, aus der gleichen Klasse stammend, gingen in der Wertschätzung noch weiter und zerkratzten die Gemälde, versahen sie ausserhalb der Reichweite ihrer Hände mit Schmähungen, zerkratzten sie mit Federmessern, spritzten sie ab usw.
Juan hat seinen Vater im Stich gelassen, der in diesen dreissig Jahren nicht begriffen hat, dass es die Bestimmung des Künstlers ist, sich an das Volk zu wenden. So wenigstens sagt es eine allmächtige Mehrheit in seinem Land… Juan weiss nicht, was er mit seinem Abschluss und den Durcheinandern, die er in der Schule angefertigt hat, anfangen soll. Als er nach Hause kommt, lassen sie ihn keine aufhängen, da seine Mutter im Wohnzimmer Portraits von Jorge Negrete und von Pedro Infante mit einem Trauerflor und stets mit einer Vase Blumen stehen hat. Der Vater, für sein Teil, schmückt das Innere seines Kleiderschranks mit ergötzenden Bildnissen der Peluffo und seine Wandseite mit einer hübschen Blondine der ebenfalls erfrischenden Coca-Cola-Werbung sowie einem Portrait Ratón Macías', den jeder gute Mexikaner für den besten Boxer der Welt hält. In seinem Haus im Dorf findet Juan keinen Platz für seine Werke. Eines Tages, die Notwendigkeit und Gesellschaft zu rauchen verspürend, fand er sich im Eckladen ein und schlug dem Besitzer, einem Mann des Volkes, eine Zeichnung im Tausch gegen eine Packung Zigarren vor. Der Mann lachte und schlug den Tauschhandel aus. Im Hause Juans spricht man nie von irgendeinem der Künstler, die sich Apostel des Volkes nennen. Im Hause Juans werden die jüngsten galanten Abenteuer von María Félix oder irgend ein aufsehenerregendes Verbrechen besprochen. Nie berührte die Unterhaltung die Kunst des Volkes, die dem Volk zugedacht ist…
In der Esmeralda zeigten sie Juan die Art, Figuren zu vereinfachen, mit wuchtigen Händen und Beinen, kurvig, gewellt, flach, mit wirkungsvollen Verkürzungen, damit gewisse Intellektuelle sie als 'starke' Werke bezeichnen mögen, mit einer grossen volkstümlichen Verwurzelung. Es sind keine zweidimensionalen Werke. Eher handeln sie davon, wie die Dreidimensionalität durch ein sozusagen automatisches Verfahren gewonnen wird, durch eine schmeichelhafte Zeichnung, einheitliche Umrisse und eine starre Intensität. Mit dieser Formel wird alles gelöst: ein Mann mit Bandana gleich wie eine India mit Blumen auf dem Markt, ein Erdölarbeiter wie eine jener proletarischen Mutter-Kind-Darstellungen, wie sie während mehr als dreissig Jahren reproduziert wurden, ohne dass jemand im Sinne des Wohls der bildenden mexikanischen Kunst, vielleicht in einem malthusianischen oder neomalthusianischen Sinne, interveniert hätte, um eine so unfruchtbare Wiederholung der «Mutterschaft» zu verhindern.
Juan hatte weder in der Schule noch in der Bibliothek seines Stadtteils, und noch viel weniger im Zuckerbäckerpalast der Schönen Künste, Zugang zu Kunstbüchern anderer Orte. Ebensowenig stehen ihm Museen zur Verfügung, wo es ausländische Werke, weder von heute noch von früher, zu sehen gäbe. Findet die Ausstellung eines Künstlers statt, der nicht Mexikaner ist oder der nicht der Richtung folgt, die ihm als die einzige gelehrt wurde, sagen ihm seine Gefährten, sie sei nicht der Mühe wert, dieser richte Schaden an, er gehöre einer ausgelaugten Menschheit an, idiotisch, minderer Rassen, die nichts von der Grösse und Reinheit der mexikanischen Rasse, der einzigen mit dem Vorrecht der Wahrheit, zu zeigen hätten. Einer dieser Gefährten erzählt ihm bei einer Gelegenheit von einem gewissen Hitler, der diese Dinge einer blonden Rasse zudachte, die mit der Speiseröhre spricht. Dies wurde jedoch widerlegt. Hätte Hitler die mexikanische Rasse gekannt, mit seinen braunen Menschen mit bläulichem, glattem Haar und mandelförmigen Augen und ihrer labialen Aussprache, hätte er sein Motiv oder seine Doktrin geändert. Die überlegene Rasse war diejenige von Tenochtitlán und Umgebung. Es war die Rasse, die wusste, dass die Kunst war… dass sie die absolute Wahrheit besass.
Trotz alledem entdeckt Juan eines Tages in einem Buchladen der Alameda eine Kunstzeitschrift, die Dinge enthält, die sich sehr von denjenigen unterscheiden, die er herstellt. Einige davon sind unverständlich, andere erscheinen absurd, doch all das fasziniert ihn. 'So gibt es andere Völker, die Kunst hervorbringen, ausserhalb von Mexiko', sagt er sich überrascht. Er kehrt wiederholt in den Buchladen zurück und beginnt, sich das Unverständliche näher zu besehen. Das Absurde beginnt, Sinn zu bekommen, alles ordnet sich und fügt sich ein in seine Abläufe.
Nach vergeblichen Besuchen in der Buchhandlung verspürt Juan keine Lust mehr, mit demjenigen fortzufahren. Jene Ideen beginnen sich in den lokalen Themen festzusetzen, die er täglich bearbeitet hat. Seine Malerei beginnt sich zu beleben und mit einer anderen Idee zu befruchten. Es ist wie mit diesen Kindern einer India mit einem Gringo, die bessere anatomische Proportionen und eine versteckte und geheimnisvolle Schönheit präsentieren, eine Möglichkeit, stärker zu sein, ohne das Eigene zurückzulassen…
Juan benötigt für sein beginnendes Werk Unterstützung, da er bis anhin von dem gelebt hat, das sein proletarischer Vater an Bestechungsgeldern aus dem Büro heimgebracht hat. Ein Freund stellt ihm den Salon der mexikanischen bildenden Kunst als Lösung vor. Ein anderer empfiehlt ihm, einer nationalen Front beizutreten. Beide Lösungen verschaffen ihm ein wenig Atem. Er wendet sich der ersten zu, wofür er einen äbtlichen Funktionär im Palast der Schönen Künste treffen muss, den wir Victor taufen wollen, ob sein Nachname Reyes sei oder nicht. Sein Freund führt ihm zu diesem sanftmütigen Funktionär, beeinflusst ihn jedoch vorgängig dahingehend, seine verbürgerlicht kapitalistischen Werke, die er letztlich unter dem Einfluss der ausländischen Zeitschriften geschaffen hat, nicht zu zeigen. Juan besteht darauf und geht, angesichts Beharrlichkeit seines beratenden Freundes, eine Übereinkunft ein: er lässt diese und auch die früheren Arbeiten weg.
Der gelehrsame Victor 'Reyes' legt ihm in seinem Eifer einen Fragebogen vor, in dem er den Künstler fragt, ob er zur mexikanischen Schule gehöre und ihm anschliessend einen Blick in seine Mappe gewähren möge. Juan beginnt, Zeichnungen und Skizzen in chronologischer Reihenfolge zu zeigen. Als der gelehrsame Victor zum letzten gelangt, das er angefertigt hat, teilt er Juan trocken mit: 'Können Sie mir erklären, was diese Monströsitäten darstellen, die einem Wall Street-Wartezimmer entnommen zu sein scheinen?' Juan ist bestürzt. Der Funktionär, in seiner äbtlichen Art, muss dem Kurs folgen, dem er angehört, er muss als Sekretär eines dieser vielen Intelligenz-Syndikate agieren, die sich in jenem umwerfenden Palast ausbreiten, dessen glänzender Vorhang von Tiffany ausgeführt wurde… Juan weiss, dass er alles verlieren kann und dass, wenn er hier versagt, ihn sein Vater zwingen wird, sich mit gemeinen Tätigkeiten die Entgegennahme von Bestechnungsgeldern anzueignen… Juan gibt stotternd nach und antwortet dem Funktionär in angemessener Weise: 'Genosse – sagt er ihm – diese Arbeiten sind durch einen reinen Irrtum hierher gelangt. Sie stammen von einem ausländischen Freund, dessen Werk von fleischlosem Ausdruck er mir anvertraut hat. Entschuldigen Sie, Genosse Victor…'.
Alles kommt ins Reine und Juan gelangt in den Salon der mexikanischen bildenden Künste. Später, gemäss dem Rat eines anderen Freundes, verhandelt er seinen Beitritt zur nationalen Front, wo seine Irrtümer und Erfolge kollektiv behütet werden, vorausgesetzt, dass er sich nicht von der Richtung entferne, die weiss wer welcher Genosse vorgegeben hat. Der Rest der Geschichte Juans ist bekannt. Im Salon und in der Front stellen sich ihm Herausforderungen. Sie halten neue Fragen bereit: 'Gebt uns Wände, die wir dem Volk dekorieren können!' Die zwei Freunde Juans teilen ihm mit, dies sei die neuste und praktischste Forderung der mutigen Jugend, die in Mexiko malt, doch Juan hat in irgendeiner Geschichte der nationalen Malerei gelesen, dies sei der Aufschrei während fast vierzig Jahren gewesen, und seither hat er gesehen, dass man wegen der gleichen Sache ein Vierteljahrhundert gezetert hat, sowie im letzten Jahrzehnt und bis in die letzte Zeit hinein… Juan muss eingestehen, dass all diese Klagen nicht sehr neu sind, doch es kommt ihm zupass, mit der Mehrheit mitzugehen. Wer weiss, ob ihm dies nicht einen saftigen kleinen Job einbringt… Für alle Fälle, solange es die andern ebenfalls tun, hebt er hitzig die Faust. Auf diese Weise reift die Karriere Juans, und unsere Geschichte neigt sich dem Ende zu.
Protegiert durch die offiziellen und halboffiziellen Institutionen beginnt Juan vorwärtszukommen, denn ein gewisses Talent besitzt er, obwohl sie ihn nicht machen liessen mit seiner Kunst, was er sich gewünscht hätte. Er verkauft seine Werke, von denen er weiss, dass sie geistlos und abgestanden sind, an Touristen, die eine Reiseerinnerung suchen. Es ist ihnen nicht wichtig, wie die Arbeiten beschaffen sind, solange sie sehen, dass sie von Mexiko handeln. Darin sind sich seine ratgebenden Freunde der Front und des Salons mit der Kundschaft von auswärts einig.
Juan fängt an, regelmässig ins Ausland zu verkaufen, das nach Themen verlangt, ohne Qualität zu fordern. Mit den Ersparnissen richtet er sich häuslich ein. Er beobachtet, dass wenn immer er seine Frau als Tehuana oder einer dieser folkloristischen, prahlerischen Trachten bekleidet, die Columba Dominguez in ihren Filmen trägt, die Kunden besser zahlen. Angesichts so vieler Verkäufe legt Juans Frau die indianische Kostümierung nicht einmal mehr zum Schlafen ab… es kann ja nicht sein, dass ein Käufer, einer derjenigen, die nach dem Besuch in einem der üblichen Nachtclubs durchmachen, sie frühmorgens überrumpelt.
Um seinen Erfolg aufrecht zu erhalten, geht Juan jede Art von Eingeständnissen ein. Vor allen Dingen ist er stets im Overall unterwegs, auf Arbeiterart, mit grobem Schuhwerk und volkstümlichem Zapata-Schnurrbart. Seine Figuren sind fest und korpulent. Wenn er aber beauftragt wird, magere Ausgehungerte auf die Wand zu malen, gewährt Juan auch diese, da ihm diese Nachgiebigkeit seinem Bankkonto einige Spanferkel einbringt, und ihm selber die Aufmerksamkeit seitens der Frontgenossen.
Er lässt sich schützen durch die lobende und dithyrambische Kritik der Sympathisanten der Sache und der Schutzherren des Nationalismus in der mexikanischen Kunst. Er weiss, dass Van Gogh ein Erneuerer des Impressionismus ist, was man Postimpressionismus nennt, und dass Giacometti ein alter, fast sechzigjähriger Schweizer Bildhauer der Pariser Schule ist, der manchmal malt. Wenn jedoch ein Kritiker, der der Dekan oder Präsident oder wer weiss was der mexikanischen Kritiker sein könnte, behauptet, 'Van Gogh war ein Fauve', aus Unwissenheit oder durch schlechten Satzbau Ursache und Wirkung durcheinanderbringend; oder wenn er mit engelhafter Unwissenheit von einem 'jungen französischen Maler Giacometti' spricht, schweigt Juan. Erhebt er Protest, verdammen sie ihn zur Ruhe, zur Unwissenheit. Korrigiert er einen dieser verspielten Bilderkommentatoren wie den Herrn X, dessen Gongorismus eines der Rätsel des Kultursyndikats darstellt, setzt er sich einem fortwährenden Scherbengericht aus, dem ständigen Groll einiger dieser frustrierten Maler, die, unfähig, eine Leinwand zu beenden, ihre wöchentliche Linotype-Kolumne innehaben, um im Namen einer Kunst auszurutschen, die für das Volk gemacht wurde, nämlich für die Mutter und den Vater dieses selbstzufriedenen Siegenden Juan.
Darüber hinaus, anlässlich wiederkehrender Kaffeeversammlungen, muss Juan einige Schlüsselbegriffe zugestehen, mit denen sich der gute Nationalismus festigt. Die entschiedene, blinde, unbesonnene Unterstützung allen malerisch Mexikanischen lässt ihn die angewöhnten Klischees wiederholen, um den Nationalismus am Laufen zu halten. In diesen Ideen wird er sich mechanisieren müssen, wie eine Feder auf die Meinung der Genossen reagieren müssen. Deswegen hält er den anmutigen Analphabethen von Cantinflas mit seinem geläuterten, hoch intellektuellen Genius Chaplin ebenbürtig, wenn nicht sogar überlegen. Er neigt dazu, es in Kauf zu nehmen, dass dieses Monument des Kitschs, das Agustin Lara verpflichtet ist, wohl in die Anthologien der mexikanischen Dichtung (die Serien genannt werden) eingeht. Man wird bis zur Übersättigung behaupten, Rufino Tamayo sei ein Verräter gewesen und mit den gleichen oberflächlichen Argumenten sein gutes Werk und seine schlechten Arbeiten negieren, den Pariser Einfluss geltend machend, ohne dem Ganzen analytisch auf den Grund zu gehen. Falls dieser Krämer der Tränen des Dienstpersonals, der sich Fernando Soler nennt, sagen wird, er hätte den Neorealismus im Kino vor den Italienern erfunden, wird Juan dies geduldig zugeben. In der Wiederholung von Formeln, Schlüsselworten, Dogmen fühlt er sich stark, und die Stärke wird ihn an das natürliche Klagen seiner Genossen gewöhnen gemäss der Aufgabe und für seine intellektuellen Altersgenossen. In dieser Weise, behauptend, der Tequila sei das beste Getränk der Welt und 'nichts kommt Mexiko gleich' und dass der Rest der Welt sich von Enchiladas ernähren sollte, so fühlt sich Juan geschmeichelt, bestärkt und sicher, und beginnt jeden Wunsch nach Fortschritt zu verlieren, jede Anwandlung eines Wechsels. Er ist perfekt, an der Malerei, die er macht, ist nichts, das geändert werden müsste. So hat es sich Juan bequem und behütet eingerichtet mit einem Vorhang, den wir nicht als Rauchvorhang bezeichnen wollen, sondern als Kaktusvorhang. Juan erhält darüber hinaus Extraentschädigungen zu seinen Verkäufen an Touristen und seinen Wandgemälden, in Auftrag gegeben aufgrund seiner Auflistung. Im Durchqueren einer dieser Organisationen der 'Linken', gelingt es ihm, dass er an einen dieser Kongresse eingeladen wird, wo sie ihn anweisen, elaborierte Sätze aus einem anderen Vorhang zu wiederholen. Juan konnte seinen Vorhang verlassen und spürt den Unterschied nicht. Er ist gereift und der Erfolg hat ihm zugelächelt. Hier endet endlich die Geschichte Juans.
Dies ist die Geschichte einer fiktiven Person, die sich mit ausgewiesenen Persönlichkeiten arrangiert hat, die rund um die mexikanische Kultur leben und ausschwärmen, sie ersticken, sie in Schrecken versetzen angesichts der Teilnahmslosigkeit oder Feigheit jener, die sich nicht erdreisten, sie Lügen zu strafen. Die Geschichte Juans, man kann es nicht leugnen, ist eine absolut glückliche. Das Happyend abschiessen, mit dem uns Hollywood und seine Welt der Träume unterhält. Doch das glückliche Ende der Geschichte Juans ist dasjenige der aktuellen mexikanischen Malerei.
Wenn auch glücklich – man muss es zugeben – ist es unwiderlegbar ein Ende, und ich lehne mich dagegen auf, dass die Kultur einem Ende zugeführt wird, so glücklich und bequem es sein mag.
Mein Fehler ist es, mir aufgetragen zu haben, die Geschichte von Juan vorzulegen. Als der äbtliche Victor Reyes mir einen Fragebogen vorlegte und mich fragte, ob ich der mexikanischen Schule angehöre, antwortete ich mit einer frevlerischen Frage. Als man mich mit einer Reihe von Wandgemälden beauftragte, in denen ich meinen pessimistischen Ausdruck im Angesicht des Lebens zugunsten einer optimischen Sichtweise hätte unterordnen (sprich, verraten) müssen, wies ich sie zurück, obschon es sich um eine verführerische Offerte in jedem Sinn handelte. Ich wollte nicht wie Juan sein, weil ich es seit sehr jungen Jahren vorzog, gegen die Juanes zu kämpfen, als Heckenschütze, in totaler Missachtung der Vulgarität, der Mittelmässigkeit, der mittelmässigen Oberflächlichkeit, des ständigen Gemeinplatzes, von Mund zu Mund weitergegeben, von der Ausstellungseröffnung zum Kaffeetisch, ohne Unterbruch und mit kargen Abweichungen. Mit diesem ungehobelten, beschränkten, provinziell nationalistischen Mexiko, reduziert auf auf seine Reichweise, in Furcht vor dem Ausland, aus Unsicherheit vor sich selbst, gegen dieses Mexiko sprach ich mich aus. Bis dato waren das Einzige, das ich erhielt, persönliche Angriffe, obwohl es die Darstellung und die Projektion von Individuen ist, die ich angriff, nie die Personen.
Ich betrachte mich nicht als Erneuerer oder Reformator der Kunst. Ich habe mich damit beschäftigt, in einer Tradition fortzufahren, an die ich glaube und der ich ein wenig neue Lebenskraft einhauchen wollte, etwas, das sie vorwärtsbringt. Wenn es meinem Land nicht gefällt, was ich mache, und ich dafür Schmähungen der persönlichen Kategorie erhalte – nie eine ernste, besonnene Kritik – muss ich mir ein günstigeres Medium für die Entwicklung meiner Arbeit suchen. Ich werde den Kaktusvorhang als kräftige Unüberwindbarkeit anerkennen müssen. Ich glaube fest daran, dass man ohne Dissens nicht weiterkommen kann, wenn es nicht einen ekelt angesichts der Tatsache, und er sich anschickt, einen anderen Weg einzuschlagen. Ich glaube, eine nötige Dosis an Verstand zu haben, um mich einer Lebensform und dem Festfahren der Kultur zu wiedersetzen. Ich glaube, das Recht zu haben, sowohl als Bürger wie auch als Künstler, mich dem mittelmässigen und konformistischen Zustand der intellektuellen Schöpfung entgegenzustellen. Dies ist mein unverzeihlicher Fehler.
Glauben Sie aber nicht, für mich existierte nicht das andere Mexiko mehr als jenes, das ich angreife. Es gibt ein andere Mexiko für mich, das ich uneingeschränkt respektiere und bewundere. Es ist das Mexiko von Orozco, von Alfonso Reyes, von Silvestre Revueltas, von Antonio Caso, von Carlos Chávez, von Tamayo, von Octavio Paz, von Carlos Pellicer, von Carlos Fuentes, von Nacho López. Es ist das ernsthafte, gelehrte Mexiko, von aussen geschützt, im eigenen Land jedoch im Allgemeinen angegriffen und verunglimpft. Ich bin stolz, dass ein Verlagsunternehmen wie es der Fondo de Cultura Económica ist, in Mexiko entstehen konnte. Ich kann meinen Jubel nicht verbergen, wenn mir im Ausland Los Olvidados und Raíces gelobt werden, zwei Filme, die in meinem Land an der Kasse durchfielen. Dieses ganze Mexiko ist es, das mich zum Protest anfeuert, weil es das universelle und ewige Mexiko ist, das sich der Welt öffnet, ohne sein Eigenes aufzugeben.
Es gibt eine junge Generation in Mexiko, die ihre Ideale aus diesem Block der kulturellen Aktion bezieht, den ich erwähnt habe. Ich wünsche, ihnen anzugehören. Ich ermächtige mich nicht zum Schiedsrichter, und ich verlange nicht, dass man meinem Weg folgt, den ich nicht als den einzigen betrachte. Ich gestehe der Kunst alle Wege zu, die sich als grosszügige, breite Weiterführung des eigentlichen Lebens präsentieren. Ich wünsche der Kunst meines Landes breite Strassen, die uns zum Rest der Welt hin führen, nicht kleine Ortssträsschen, die nur Weiler verbinden.»
(Übersetzung: Alex Winiger, 2024)