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dieser beitrag wurde verfasst in: deutsch (ger/deu/de)

künstler: Wilhelm Lachnit

titel: Supraporten-Wandbilder

jahr: 1955

adresse: Technische Hochschule, Studentenwohnheim, Fritz-Löffler-Straße 16—18, Dresden

+: «Wilhelm Lachnit hatte 1955 in einem Hörsaal der Dresdner Arbeiter- und Bauernfakultät und in einem Studentenwohnheim verschiedene Wandbilder geschaffen. Die Bilder zeigten zumeist genrehafte Szenen. Es zeichnete sie eine betont flächenhafte Figurengestaltung und eine kräftige Farbgebung aus. Bei einem solchen Mass an sachlicher Reduktion, formaler Abstraktion und Entpolitisierung des Inhalts liess eine öffentliche Kritik nicht lange auf sich warten. Dabei standen die kleinformatigen Supraporten des Wohnheims, die nicht grösser als 100 x 50 Zentimeter waren, im Zentrum des Streits.

Eine vor den Wandbildern durchgeführte Diskussionsveranstaltung gab den Anstoss zu einer breiteren Auseinandersetzung in der regionalen Presse. Die Kulturredaktion der 'Sächsischen Zeitung' eröffnete die Debatte und behauptete in ihrem Beitrag, "dass auch bei uns das Schaffen einiger Dresdner Maler stagniert, weil ihre Kunst zu sehr im Formalen steckenbleibt". Die Autoren machten Wilhelm Lachnit sein 'reizvolles, wenn auch nicht harmonisches Spiel mit Farben, das nach dem Willen seines Schöpfers nur durch diese Reizwirkung gefallen soll,' zum Vorwurf. Dieser Angriff zielte auf das künstlerische Selbstverständnis Lachnits: "Und um gar keinen Zweifel daran aufkommen zu lassen, dass man zum Betrachten seiner Bilder keine Bildung brauche, fügte Genosse Lachnit hinzu, er habe versucht den Betrachter zu locken, 'wie die Farbe der Blume das Insekt reizt'." Man interpretierte Lachnits Standpunkt als die konsequente Ablehnung jeden Inhalts. Die Negation einer parteipolitischen, ideologischen Aussage konnte nicht toleriert werden: "Diese Auffassung […] besagt, dass der Mensch keinen wachen Verstand, kein Bewusstsein für das Erfassen eines Kunstwerkes brauche. Aus ihr folgt, dass ein Kunstwerk nur durch physiologische Reize wirke und nicht durch die Kraft seines ästhetischen Wertes, der Übereinstimmung von gesellschaftlicher Aussage und künstlerischer Form. Sie degradiert schliesslich des Menschen, indem sie an die Stelle des Bewusstseins den Instinkt setzt und damit dem Menschen raubt, was ihn vom Tier unterscheidet. Damit leugnen die Vertreter dieser Theorie die Bewusstseinsbildende Rolle der Kunst und ihre Verpflichtung gegenüber dem Menschen." Zum Beweis der Richtigkeit ihres Standpunktes führten sie schliesslich das Urteil der täglichen Betrachter an: "Den 800 Studenten, die das Heim bewohnen, gefallen seine Bilder nicht."

Die schroffe Zurückweisung des allein ästhetischen Wertes eines Bildes, eines künstlerischen Ansatzes, der primär von der Bildgestalt und nicht von der Bildaussage lebt, vielmehr den Primat des Inhaltes zugunsten der Form zurückdrängen wollte, rief unter den Dresdener Künstlern und Kunstinteressierten seinerseits kritik hervor. Heinz Lohmar verteidigte den Ansatz Lachnits: "Ästhetische Werte und künstlerische Formen bringen die Seele zum Schwingen. Der gesellschaftliche Wert eines Kunstwerkes liegt in seinem Überbaucharakter. Dieser Überbaucharakter verliert seinen Wert mit der Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Der ästhetische und der künstlerische Wert bleibt bestehen."

Doch blieb es im Supraportenstreit nicht allein bei der Forderung nach Anerkennung eines allein ästhetischen Ansatzes. Man ging nun zum Gegenangriff über und nahm die Form der Kunstkritik ins Visier. Der Kunstwissenschaftler Arthur Dähnhardt widmete seinen Beitrag der Kritik der Kunstkritik: "In der Kritik an Lachnits Supraporten wird als einziges Kriterium für deren Unzulänglichkeit angeführt, dass die Dargestellten nicht 'das geistige Antlitz der Menschen von heute tragen oder für sie Partei ergreifen'. Das ist eine zu allgemeine Rede. Es gibt nicht ein geistiges Antlitz der Zeit […]. Solche Worte und Urteile helfen nicht ein Bild zu verstehen. Sie können aber den Künstler zu solch billig-naturalistischer Menschendarstellung führen, wie wir sie in der 3. Deutschen Kunstausstellung gesehen haben." Dähnhardt stellte die Bewertungsmassstäbe der Kritik in Frage: "Ist es aber richtig daraus zu folgern, dass ein Kunstwerk nichts taugt, weil es achthundert Studenten oder einer Betriebsdelegation oder sonst einer Anzahl von Werktätigen nichts sagt, richtiger vielleicht: zunächst nichts sagt?" Vielmehr sollte sich die Kritik mit allen Seiten der Kunsterscheinungen in der DDR auseinandersetzen: "Es gibt auch eine Gruppe von 'Kunstwerken', die zwar einen zeitnahen politischen Inhalt haben, die aber nciht weniger zur Stammbuchlümchenkunst zählen. Und darum erscheint es an der Zeit, dass unsere Pressekritik sich ebenso ernsthaft mit derartigen Bildwerken befasst […] wie mit den zum Formalismus neigenden." Damit wurde aber auch der "Volksgeschmack" zur Diskussion gestellt, so dass sich Hans Schulz, Dozent für Kunstgeschichte an der Dresdener Kusnthochschule, genötigt sah, das Kunsturteil der breiten Masse zu verteidigen: "Es ist ein weiterverbreiteter Irrtum unter den Künstlern und manchen Theoretikern zu menen, dass heute nur ein kleiner Vortrupp mit bestimmten Vorkenntnissen in der Lage wäre und das Recht haben könne, Kunst zu beurteilen. […] Aber genauso […] gibt es ein einfacheres, aber deswegen keineswegs weniger tiefes Kunsterlebnis".

Die Positionen in der kunstpolitischen Debatte der DDR hatten sich also verändert. Es war nicht mehr der Künstler, der für seine Meinung Toleranz suchen musste, sondern die Ideologische Kritik musste ihren Standpunkt verteidigen und für den "Volksgeschmack" Akzeptanz einfordern. Der Supraportenstreit zeigte zwar, dass der Formalismus-Vorwurf auch nach dem Jahre 1953 fortbestand. Die Debatte hatte aber ihre Gnadenlosigkeit verloren, bewegte sich nun vielmehr auf einem harmloseren Niveau und schlug gemässigte Töne an. Der Disput endete nicht mehr in der demonstrativen Zerstörung der Bilder. Man fand zurück zum Prinzip der Rede und Gegenrede, so dass die Redaktion der "Sächsischen Zeitung" anmerkte, dass sie "eine Reihe von Zuschriften – teils zustimmend, teils ablehndne – erhalten" hatte. Die Scharfe der gegen die Wandmalereien Lachnits und dessen künstlerischen Ansatz erhobenen Vorwürde hatte sogar zur Folge, dass die Formalismus-Kritik selbst zum Gegenstand der Debatte wurde. Lea Grundig betonte: "Die Kritik an der bildenden Kunst wird immer noch allzu oft so vorgestragen, als gälte es eine juristische Aburteilung und nicht eine friedliche Aussprache zwischen Arbeitenden und Künstlern, die ihr Bestes zu geben bereit sind."

(Schönfeld, S. 459–460)