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dieser beitrag wurde verfasst in: deutsch (ger/deu/de)

künstler: Heinrich Vogeler

titel: Kommunitäres Leben in paradiesischen Gartenszenen. Szenen der Befreiung von Arbeitern und unterdrückten Völkern. Glückstraum befreiter Kollektivarbeit. Schützende Hand mit daraufsitzendem Kind (= Symbol der Kommune)

jahr: 1920–23, 1924–26

adresse: Barkenhoff (Speisesaal, Diele), Worpswede, Deutschland

+: Diele: mehrteilige Ausmalung. Seit 1927 zunächst von Wachs­tuchrollos verdeckt, 1938/1939 bel Umbauarbeiten zerstört.

«Den Barkenhoff hatte Vogeler privat erworben und bereits zu Anfang des Jahrhunderts, als er ihn noch mit seiner Familie als Privathaus nutzte, zu einem Gesamtkunstwerks des Jugendstils geformt. Durch die Erfahrungen des Ersten Weltkrieges radikalisierte sich Vogelers politische Einstellung, sodass er den Hof in den 1920er-Jahren durch seine expressionistischen und politisierten Wandmalereien umfassend erneuerte, dort seine sog. Arbeitsschule und Kommune Barkenhoff gründete und ihn seit 1924 vollständig der Trägergesellschaft des Rote-Hilfe-Kinderheims überließ. […]

Bereits imJahr der Vollendung, 1926, erregte der Zyklus aufgrund seines politischen Gehalts massiven Widerstand im zuständigen Landratsamt und beim Regierungs­präsidenten: schriftlich und mündlich forderten sie die Heimleiterin zur Entfernung der Fresken auf. Laut der Publikation Polizeiterror gegen Kind und Kunst aus dem Jahr 1927 versuchte der Regierungspräsident, die Entfernung der Bilder auch mithilfe massiver Druckmittel zu erreichen: Nur wenn die Bilder entfernt würden, könnten der Roten Hilfe wieder Fahrpreisermäßigungen für die Transporte der Kin­der gewährt werden. Die Forderung nach der Entfernung der Fresken rief im Jahr 1927 unter Künstlern starken Protest und Solidarisierung mit Vogeler und 'seinem' Kinderheim hervor, was jedoch zunächst ihre Verhängung durch abschließbare Wachstuchrollos und die spätere Zerstörung nicht verhindern konnte. Am 28.1.1927 befasste sich gar der preußische Landtag mit den Wandmalereien des Barkenhoffs. Bis in den Herbst 1927 hinein beschäftigte diese Auseinandersetzung die Behörden in Osterholz, Stade und Berlin. Der Barkenhoff fand mit der Zerschlagung der Ro­ten Hilfe Deutschlands durch die Nationalsozialisten ebenfalls im Jahr 1933 wie schon das Reichsferienheim Tännich sein endgültiges Ende. […]

Stilistisch arbeiteten beide Künstler mit ihrem persönlichen, expressionistischen Vokabular, das sie für die Aufgabe der Wandmalerei nicht anpassten, sondern nur kompositorisch erweiterten, indem sie Szenen miteinander verschränkten, um ihre Wandmalereien gleichsam flächendeckend auszubreiten. Architektonische Raumelemente wurden in die Komposition einbezogen, wobei Vogelers prismatisch zerlegte Kompositionen verschiedene Bildräume miteinander verbanden.

Beide Einrichtungen können in der Tradition der Landerziehungsheimbewegung des späten 19. Jahrhunderts gesehen werden, die in den 1920er-Jahren eine Fortset­zung im expressionistischen Ideal des 'neuen Menschen' und der Forderung nach einer 'neuen Schule' findet. Die 'neue Schule' setzte auf eine ganzheitliche Bildung und sah das Kunsterlebnis als eine Selbsterfahrung im Geistigen'; Kunst solle 'für junge Menschen nicht 'Luxus', sondern 'Lebensbedürfnis'' sein. In diesem Sinne können die Wandbilder Vogelers und Hanfs als Beitrag zur Kreation einer durch Kunst gestalteten Umgebung sein. Im Gegensatz zu Alfred Lichtwark, der zwar den Einbezug aktueller Malerei in die Schulklassen forderte, damit aber gerade nicht die 'ringende Kunst' der Gegenwart meinte, sondern auf die Kunst des 19. Jahrhunderts zielte, integrierten Künstler und Auftraggeber in Tännich und Worpswede gleich­sam tagespolitische Themen und politische Stimmung mithilfe aktueller Kunst in das unmittelbare Lebensumfeld der hier untergebrachten Kinder und Jugendlichen.»

(Schuler 2017, S. 265, 269–270)

Diego Rivera besuchte 1927 den Barkenhoff auf der Durchreise in die Sowjetunion. (Bildende Kunst 12.1986)

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