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dieser beitrag wurde verfasst in: deutsch (ger/deu/de)

künstler: Robert Durrer, Albert Hinter, Hans von Matt

titel: Votivgemälde (Die Schweiz, Friedensinsel in der Völkerschlacht. Totentanz). Gottes Antlitz

jahr: 1920–21

adresse: Untere Ranftkapelle (Rückwand / Nordwest-Wand), Flüeli-Ranft, Kanton Obwalden, Schweiz

+: Fresko mit integriertem Glasgemälde

Die das Gemälde umlaufende Inschrift lautet (in Kapitalen): "Im August 1914 als der Weltkrieg Tod und Verderben brachte haben wir dich um deine Fürbitte bei Gott angerufen. Lob und Dank dir seliger Bruder Klaus. Unser liebes Vaterland blieb wunderbar behütet & verschont." Links unten: "Dr. Rob. Durrer invenit 1920", rechts unten: "Dr. Rob. Durrer Albert Hinter pinx. 1921".

Das Gemälde steht neben Zyklen aus dem 16. Jahrhundert an Seitenwänden und im Chor der Kapelle. Die Restaurierung der Kapelle 1920—21 fand ebenfalls unter der Leitung Robert Durrers statt.

«Für die ebenfalls von jeher leer gebliebene Rückwand ist ein grosses Votivgemälde vorgesehen, das dem Geist der alten Dekoration diskret sich anpassend, aber doch als moderne Neuschöpfung, die Beschirmung des Vaterlandes im Weltkriege durch den seligen Friedensstifter zum Vorwurf hat.» (Durrer, Bruder Klaus Bd. 2, S. 1152)

«Über seine neuartige, das Ursprüngliche radikal wiederherstellende Restaurierungsmethode stieß er bei einem Teil des Klerus' auf entschiedene Gegnerschaft. Mit dem Bischof von Chur etwa führte er wegen dessen ebenso schwunghaften wie fragwürdigen Antiquitätenhandels einen öffentlich ausgetragenen Streit. In einem frühen Entwurf des Monumentalfreskos hatte Durrer deshalb vorgesehen, einen Prälaten in einem Schiff zu präsentieren, der sich mit geraubten Kunstschätzen von dannen macht. Heinrich Angst, der frühere Direktor des Schweizerischen Landesmuseums, schrieb am 16. August 1921 über den geplanten Totentanz an Durrer:

'Sehr froh bin ich auch zu hören, dass Sie gestern mit ihrem Bild angefangen haben, von dem ich mir viel verspreche, aber auch viel Opposition erwarte, weil im Hintergrund immer noch die finstere Figur des Bischofs von Chur lauert.'» (Mörgeli, 2006, S. 110)

«Anfänglich wurde das Bild begeistert aufgenommen, doch dann setzte – vor allem aus armeefreundlichen Kreisen – massive Kritik ein. Der Luzerner Kantonsbaumeister Oskar Balthasar gelangte an die Luzerner Sektion der Neuen Helvetischen Gesellschaft, weil die Armee durch 'drei ganz minderwertige Landsturmsoldaten' dargestellt und der Generalstab ins Komische gezogen sei, und verlangte ultimativ, dass 'die parodierten, die Schweiz entwürdigenden Einzeldarstellungen', […] 'die eher in ein Witzblatt, als ein für die Allgemeinheit bestimmtes Gemälde' gehörten, abgeändert würden. Nationalrat Hans von Matt [der Vater des an der Ausführung des Gemäldes beteiligten Hans von Matt] und Hans Meyer-Rahn, Sekretär der Schweizerischen Gottfried-Keller-Stiftung, brachten es fertig, dass nicht auf Balthasars Forderungen eingegangen wurde und die Polemik nicht an die Öffentlichkeit gelangte. Meyer-Rahn, der die Entstehung des Bildes wohlwollend begleitet und Durrers 'individuelle Originalität' und 'Schalkhaftigkeit' stets verteidigt hatte, äusserte sich belustigt über die beanstandeten Details, 'die paar Mandli in Feldgrau, der hager, ausgemergelte Oberkellner, die Käsemulchen, der Doppeladler und die Zita [von Habsburg]' […].

Die negativen Stimmen zeitigten Folgen. Robert Durrer, der die Ranftrenovation als eines seiner Lebenswerke betrachtete, war vom Obwaldner Regierungsrat Peter Anton Ming bestimmt worden, den Nuntius anlässlich eines Besuches durch die Ranftkapellen zu führen, und es verletzte ihn tief, als ihm Ming auf Betreiben des Sachsler Pfarrers Ludwig Omlin und des Sarner Pfarrers Melchior Britschgi den Auftrag wieder entzog. […].

Albert Hinter stand nicht im Fokus der Zwistigkeiten und hätte sich wohl durch nichts von seiner Sympathie für Durrer abbringen lassen. Der Dritte im Bund, Hans von Matt, notierte zwar vergnügt im Tagebuch:

'Wir drei brave (!) Kunstgesellen

täten wiederum erstellen

alte Pracht der Ranftkapellen.

Unbekümmert um Banausen

malten wir in Bruderklausen

Heiligtum des Weltkriegs Grausen.

Trotz der alten & der jungen

mannigfachen Anödungen

ist für uns das Werk gelungen.'

Doch wenig später hat er heimlich seinen Namen auf dem Votivbild übermalt und seine Mitarbeit für lange Zeit aus seiner Biographie getilgt, möglicherweise aus Furcht, seinen Ruf bei potentiellen Auftraggebern aus Kirche, Politik und Armee zu gefährden.» (Odermatt-Bürgi, 2018, S. 168–169)

«Zeitgenössischen Kennern der Kulturgeschichte blieb nicht verborgen, dass Robert Durrer mit seinem monumentalen Fresko den traditionellen Totentanz verlassen und das Genre in einer bislang unbekannten, erstaunlichen Weise erweitert hatte. Der Politiker, Antiquar und Redaktor Hans von Matt erinnerte bei seiner Beschreibung im von ihm herausgegebenen Nidwaldner Volksblatt an die bisherige makabre Überlieferung: Die figürliche Darstellung, wie der Tod an den Menschen herantritt, ihn der Welt entführt, mitten von der Arbeit weg, aus den Freuden heraus, vom Felde, vom Tische, im Betstuhl, auf der Bettlerbank und auf dem Königsthron, im Freudenhaus und im Kloster, durch Schlag, Stich und Hieb, durch den fallenden Stein, durch die tötende Kugel, durch verborgenes Gift, diese Darstellung ist so oft, so verschieden schon gezeichnet und gemalt worden. Von Matt nannte auch die im Kanton Obwalden besonders zahlreichen Totentänze und makabren Illustrationen, wie sie seit Jahrhunderten bis in die neueste Zeit etwa in Kirchen oder Beinhäusern gestaltet worden seien. Doch nun habe Robert Durrer auf der Rückseite der Ranftkapelle eine völlig neue, 'ganz originelle Art' des bildlich so gebräuchlichen Totentanzes geschaffen: 'Die furchtbare Ernte des Todes in einem solchen Ausmaß aber hat noch kein Auge bisher gesehen und keine Künstlerhand dargestellt.'» (Mörgeli, 2006, S. 119)

«Das Bild ist so gebaut, dass dieser [Berg] aus der Schlacht, aus dem Ozean des Krieges herausragt; die Fürbitte des Heiligen bestätigt damit gleichsam noch einmal die in der Topografie sich offenbarende göttliche Gnade der Auserwähltheit.

Es ist anzunehmen, dass diese bildnerischen Motive, die 1921 alle schon längst im politisch Imaginären der Schweiz verankert waren, heute noch die Wahrnehmung des Freskos weit mehr bestimmen als diese oder jene ironische Note der Darstellung der einzelnen Figuren. Auch dass Robert Durrer ein eifriger Befürworter des Beitritts der Schweiz zum Völkerbund gewesen war, ändert am strukturellen Bildprogramm seines Freskos nichts. Im Zentrum des politischen Katholizismus und des frommen Gedenkens an den Heiligen vom Ranft bleibt ein ikonographisches Schema in Funktion, das die Schweiz von Europa isoliert.» (Sarasin, 1998, S. 393–394)

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