www.mural.ch: werke

dieser beitrag wurde verfasst in: deutsch (ger/deu/de)

künstler (in grau: assistent/in): Gottfried Semper, Karl Gottlob Schönherr, Adolf Wilhelm Walther

titel: Motive und Inschriften zu Kunst, Technologie, Naturwissenschaft. Kantonswappen

jahr: 1863

adresse: ETH Hauptgebäude, Fassade Tannenstrasse, Zürich, Schweiz

+: Sgraffito

«[…] Wenn der Schulbau aber wie bei Semper als beherrschendes Stadtschloss auftritt, wird eine Vorstellung evoziert, an welche die Züricher Auftraggeber nicht gedacht hatten, nämlich jene, dass die Gelehrten und Künstler den Politikern und dem gewöhnlichen Volk überlegen seien, weshalb ihnen eine führende Position im Staate zustehe. […] Den Auftraggebern wurde Sempers Absicht erst klar, als er auf der Nordfassade in lateinische Worten proklamierte: 'Es wäre nicht wert, geboren zu werden, wenn nicht für Wissenschaften und Künste. In ihnen werdet ihr den Siegespreis gewinnen.' […]

Ebenso wenig wie Risalit und Flügel bilden Bauschmuck und Baukörper eine organische Einheit im Sinn des Barock; man gewinnt vielmehr den Eindruck, eine Kulissenwand sei an den Kernbau herangeschoben worden. So ist verdeutlicht, dass der Bauschmuck nicht naturhafte Manifestation des Majestätischen, sondern bloss ein historisch gewordenes Symbol für das Erhaben-Triumphale ist. Auf ungewöhnliche Weise kommt das Bekleidungsprinzip – die Exposition der Fassade als 'Kleid' – an der Nordfassade zum Ausdruck: Sie ist mit einer kolossalen Sgraffito-Zeichnung geschmückt. Dass Semper die grafisch-strenge, farblose Verputzrisstechnik in einem so monumentalen Rahmen verwendete, hängt damit zusammen, dass der Bautrakt die Zeichensäle des Polytechnikums enthält.» (Andreas Hauser, in: Nerdinger / Oechslin, Gottfried Semper 1803–1879, 2003, S. 304–305)

«[…] Semper hat hier formal auf Fassadendekorationen der Renaissance Bezug genommen, wie sie im 19. Jahrhundert noch viel zahlreicher als heute an Palast- und Hausfronten Italiens, aber auch der nordalpinen Regionen einschliesslich der Schweiz sichtbar waren. Neue Wege ging Semper hingegen im Thematischen, wo er mit der egalitär gereihten Galerie von Gelehrten- und Künstlerportraits, der inschriftlichen Beschwörung akademischer wie bürgerlicher Tugenden, den majestätischen Personifikationen von Wissenschaften und Künsten, schliesslich der Serie der Kantonswappen unter dem Dachgesims eine einzigartige Durchdringung zwischen wissenschaftlich-technischer, künstlerischer und gesellschaftlich-politischer Sphäre zu erzeugen wusste. Ebenso zielsicher wie selbständig gab Semper seinem Bau damit ein Programm, wie es nicht etwa in der Ausschreibung gefordert war, sondern vielmehr seinen eigenen Intentionen als Architekt und als Mitglied des Polytechnikums entsprach. Vor dem Hintergrund traditioneller Bildungsikonographie überraschen die Portraits Raffaels oder Albrecht Dürers kaum; was auffällt, ist vielmehr deren selbstverständliche Nachbarschaft zu den Bildnissen von James Watt und Jakob Berzelius.» (Andreas Tönnesmann, in: Hildebrand / Oechslin, Hochschulstadt Zürich, 2005, S. 73–74)

«Die Tatsache, dass die bestehende Ausführung der Fassade Sempers eigenem Grundsatz zur Einhaltung der Flächigkeit zu widersprechen scheint, wäre möglicherweise durch Kompromisse zu erklären, die er im Laufe der Entwurfsplanung aufgrund von Anweisungen seitens der Auftraggeber hat schliessen müssen. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass er in der Art der vorliegenden räumlichen Abbildungen noch keinen gravierenden Verstoss gegen seine eigene Forderung erkennt, zumal die strenge Abgrenzung der Bildfelder des Polytechnikums durch die horizontalen und vertikalen Rahmen ohnehin eine illusionistische Wirkung weitgehend verhindert.» (John Ziesemer, 1999, S. 139–140)

  • semper_ethfassade01kl.jpg
  • semper_ethfassade02kl.jpg
  • semper_ethfassade03kl.jpg
  • semper_ethfassade04kl.jpg
  • semper_ethfassade05kl.jpg