dieser beitrag wurde verfasst in: deutsch (ger/deu/de)
künstler (in grau: assistent/in): Paul Thiersch, Klara Maria Kuthe, Lili Schultz, Johanna Schütz-Wolff
titel: Szenen aus der Edda-Dichtung: Geistige Geburt (Jünglingsweihe). Lehre und Gesetz (Herrscherwahl). Holmgang (Kampf). Bestattung (Totenklage). Tanzender. Sänger. Seher. Weltesche Yggdrasil. Zwei linksläufige Swastikazeichen
jahr: 1918
adresse: Museum für Vorgeschichte (Treppenhaus), Halle an der Saale, Deutschland
+: Kaseingemälde. Wand A und B: je ca. 3 x 8 m (A: Paul Thiersch und Klara Kuthe, Lehre und Gesetz/Herrscherwahl; B: Lili Schultz, Bestattung/Totenklage); Wand C und G: je ca. 3 x 6 m (C: Paul Thiersch, Kampf/Holmgang; G: Paul Thiersch und Klara Kuthe, Geistige Geburt/Jünglingsweihe); Wandfelder D, F: je ca. 3 x 1,5 m (D und F: Johanna Wolff, Tanzende); Wandfelder E: ca. 3 x 3 m (E: Johanna Wolff, Seher bzw. Sänger)
«Auch Thierschs Zyklus war in expressionistischer Formensprache und kräftiger Farbigkeit ausgeführt. Die Platzierung beider Zyklen [u.a. desjenigen von Ernst Müller-Gräfe in Altenburg] im Treppenhaus ermöglicht eine relative Definition des Betrachters, der die Werke also beim Eintritt in die Sammlung sehen und sie gleichsam durchschreiten würde. Die Umsetzung als vergleichsweise autonome Wandgemälde im Eingangsbereich der Museen erinnert an die musealen Ausstattungsprogramme des 19. Jahrhunderts, wie sie sich bei spielsweise in der Münchner Pinakothek, der Düsseldorfer Kunsthalle, im Dresdner Albertinum oder dem Museum für Bildende Künste in Leipzig finden.» (Schuler 2017, S. 284)
«Den Gesamtentwurf […] behielt sich Thiersch ebenso wie das für alle verbindliche Farbkonzept selbst vor. Per Los verteilte er die einzelnen Szenen an die Künstlerinnen.
«Der Sammlungsschwerpunkt des Museums für Vorgeschichte lag im Gegensatz zu den bisher besprochenen Institutionen nicht auf klassischen Werken der bildenden oder angewandten Kunst, sondern in erster Linie auf archäologischen Exponaten zur Menschheitsgeschichte. Für diesen Kontext hatte Thiersch die Themen aus germanischer Vorzeit im Sinne eines Lebenszyklus gewählt und diese in spätexpressionistischer, starkfarbiger Darstellung umgesetzt. Damit verschränkte er gleichsam Stil und Inhalt der Wandbilder mit den Inhalten der Museumssammlung:
'[B]ei den frühgermanischen Szenen [handele es sich] um barbarisches Leben […], welches gerade erst aus dem Chaos hervorgegangen sei und darum in der Bewegung zerrissen und in der Energie geladen sein müsse, was eine gemäßigte Formensprache auf keinen Fall zulasse.'
Die Wandbilder illustrieren gleichsam die frühgermanische Sagenwelt, wohingegen sich die menschliche Ur- und Vorgeschichte in den archäologischen Exponaten real manifestiert. Zugleich wird so die Vergangenheit der Menschheit als eine germanische konstruiert. […]
Thiersch ging mit seinen Wandgemälden kaum auf die Treppenhausarchitektur ein. Er spannte seine nahezu autonomen Werke 'lediglich' in die gesamte zur Verfügung stehende Fläche zwischen Sockelzone und Gewölbeansatz ein. Redslob kritisierte diesen Stilbruch, wohingegen der Direktor Hans Hahne dies nicht als Gegensatz empfand, sondern in dem beiden zugrunde liegenden deutschen germanischen Empfinden eine Gemeinsamkeit und Wesensverwandtschaft zwischen Architektur und Wandmalerei sah.» (Schuler 2017, S. 301–302)