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dieser beitrag wurde verfasst in: deutsch (ger/deu/de)

«Synthèse des arts plastiques»

Ein CIAM-Kongress in Bergamo versuchte 1949, das Zusammenspiel von Architektur, Skulptur und Malerei zu beschreiben und Forderungen für die "Synthèse des arts plastiques" zu formulieren, wobei ein "Grundbedürfnis des Menschen jenseits des strikten Utilitarismus nach Befriedigung in seinem emotionalem Streben" festgestellt wurde. Der Urbanismus sollte den Rahmen bilden, innerhalb dessen die Künste [erneut] eine soziale Funktion erlangten. Die Synthese könne nur gelingen im treuen Geist der Prinzipien der CIAM und mit den Ausdrucksmitteln der aktuellen Epoche. Letzterer Punkt war in der Diskussion nicht unumstritten. Die polnische Delegierte Helena Syrkus votierte (Lenin zitierend) für eine "Kunst, die dem Volk gehört und dem Volk verständlich ist". Ein guter Teil der Diskussion hielt sich mit der Frage auf, was dem "Mann der Strasse" zuzumuten sei. (Explizit angesprochen war Präsident Truman, dessen Abneigung gegen moderne Kunst aktenkundig war.)

Erstaunliches Gewicht in diesem Diskurs hatten Schweizer Vertreter (die allerdings in den leitenden Gremien der CIAM stark vertreten waren). Der Kunsthistoriker (und Generalsekretär der CIAM) Sigfried Giedion bewegte sich in der Argumentation, der künstlerische Ausdruck müsse sich auf der Höhe der Zeit befinden. Bereits 1936 manifestierte er mit der Ausstellung «Zeitprobleme in der Schweizer Malerei und Plastik» seinen diesbezüglichen Standpunkt. Die Gebäudedekoration war ihm vermutlich kein Herzensanliegen, sah er doch in der Gebäudeform (zum Beispiel dem Hochhaus) selber das Zeichen respektive den Ausdruck.

Der prägenste Künstler-Architekt der Epoche, Le Corbusier, war um 1950 stark an der Zusammenführung der "arts majeurs" interessiert und dachte dabei primär an ein Experimentierforum für Architekten und Künstler (zum Beispiel im Rahmen des Projekts einer Ausstellung "Synthèse des arts majeurs" auf einem Gelände bei der Porte Maillot in Paris 1950), während er von einer gelenkten Förderung von "Kunst am Bau" nicht viel hielt. Seine eigenen Werke waren zeichenhaft-gegenständlich und setzten dem monolithischen Charakter und der rationalen Strenge der Bauten etwas Verspieltes entgegen.

Der Genfer Jean-Jacques Honegger (1903—1985) wiederum, der Kassenführer ("trésorier") der CIAM, gehörte der Bauunternehmerfamilie Honegger Frères an, die in ihren grossen Nachkriegsprojekten in der Regel repräsentative Kunstwerke integrierte, vor allem in den Eingangsbereichen ihrer Gebäude. Der Corbusier-Adept Alfred Roth wiederum, der (nicht nur) in Sachen Gebäudedekoration um 1950 recht umtriebig war, kann mit seiner Vorstellung einer sparsamen Dekoration (zum Beispiel durch die ausnahmsweise Applikation von Gemälden auf sonst leere Wände und eine "geschmackvolle" Farbgestaltung) diesbezüglich als typischer Vertreter der Deutschschweizer "moderaten Moderne" gelten. Roth und Giedion vertraten in Bergamo die kühne These, die Schweizer Landesausstellung 1939 habe bewiesen, dass moderne Kunst vom breiten Publikum gut aufgenommen würde, sofern sie gut in die entsprechende Architektur integriert sei. (Die Malerei und Plastik der "Landi 39" war ausschliesslich gegenständlich und sowohl formal als auch inhaltlich konservativ.)

Das Anliegen wurde am CIAM-Kongress in Hoddesdon, Herfordshire, 1951 erneut aufgegriffen: «In the summer of 1951, the international congress of modern architecture, CIAM, met in Hertfordshire to talk about the 'core of the city', stressing the need for more public art in post-war rebuilding that would help people to identify with the otherwise unfamiliar modern architecture. The discussion can be seen as a continuation of the civic impulse from the beginning of the century, still owing much to the influence of Patrick Geddes, coming with new force in the more democratic society of the Welfare State. It picked up the growing enthusiasm for murals in new buildings from before the war, and played during the 1950s with schools and other public buildings before the artistic impulse began to fade or transfer into other media after 1960. One of the later manifestations was Plymouth Civic Centre by the architects Jellicoe, Ballantyne and Coleridge, containing engraved glass by John Hutton and murals by Hans Tisdall and Mary Adshead.»


Abbildung Gustav Klimt, Beethovenfries, Wiener Secession, 1902 Abbildung Charles L'Eplattenier, Jean-André Evard, Crématoire de La Chaux-de-Fonds (intérieur), 1909—12 Die Idee einer Zusammenführung der Künste im Gesamtkunstwerk war bereits im 19. Jahrhundert virulent und fand ihren Höhepunkt im Art nouveau oder Jugendstil um 1900.

Abbildung Diego Rivera, Universidad autónoma de Chapingo, Texcoco, Estado de México, 1925—27 Abbildung José Clemente Orozco, Hospicio Cabañas, Guadalajara, Jalisco, 1937—39 Abbildung David Siqueiros, El mundo marcha adelante, Poliforum Siqueiros, México D.F., 1971 Abbildung David Siqueiros, La Marcha de la Humanidad en la Tierra y hacia el Cosmos, México D.F., 1966—71 Pioniere des mexikanischen Muralismus "Totalisierten" historische und neue Bauten mit ihrer Malerei. Diego Rivera schuf in Chapingo eine moderne Sixtina. José Clemente Orozcos Conquista-Zyklus in Manuel Tolsás Hospicio Cabañas in Guadalajara beschwört eine Stimmung von Gewalt und Untergang herauf. David Siquieros Spätwerk Poliforum (Marcha de la humanidad) ist eine triumphale, pathetische Manifestation — der Versuch, architektonisch, malerisch und skulptural vom Raum Besitz zu ergreifen.

Abbildung Hans Arp, Sophie Taeuber-Arp, Theo van Doesburg, Ciné-bal, Strassburg, 1926—28 Abbildung Alfred Roth, Modulierte Glaswand mit Elementen in Rot, Blau, Gelb und Grün, Schulhaus Riedhof, Zürich, 1963 Abbildung Le Corbusier, Heidi-Weber-Pavillon Zürich, 1967 De Stijl griff die Idee der Synthese der Künste nach dem ersten Weltkrieg neu auf. (Eine eigentliche Einheit der Künste propagierte bald darauf Walter Gropius. Die Idee wurde auch von den russischen Avantgardisten verfolgt, während Le Corbusier der Verwischung der medialen Grenzen skeptisch gegenüber stand. Vgl. von Moos, 1968/2009). Ihre Exponenten suchten nach einer abstrakt-geometrischen Durchdringung von Malerei und Architektur. Der Schweizer Architekt Alfred Roth formulierte 1949 ein Rezept, wie Piet Mondrians Neoplastizismus in der Architektur wirksam angewendet werden könne, und lieferte dafür einige Jahre später selber eine Anwendung. In Zürich befindet sich in Form des Pavillons Le Corbusiers für Heidi Weber ein herausragendes Werk, das die Ansätze von de Stijl nachhallen lässt.

Abbildung Candido Portinari, Igreja de San Francisco von Oscar Niemeyer, Pampulha, Belo Horizonte, Brasilien, 1943 Abbildung Amelia Peláez, Abstracción, Tribunal de Cuentas, La Habana, 1953 Abbildung Amelia Peláez, Abstracción, Tribunal de Cuentas, La Habana, 1953 Abbildung Edgar Pillet, Sculpture facade extrieure, Amphithéâtre Louis Weil, Saint-Martin d'Hères, France, 1969 Abbildung Franz Füeg, Piuskirche, Meggen LU, Schweiz, 1966 Abbildung Otto Glaus, Werkjahrschule Hardau, Zürich, 1964 Im Zusammenhang mit einer starken Urbanisierung ab dem zweiten Weltkrieg und einer sich durchsetzenden funktionalistischen Bauauffassung wurde die Integration der Künste noch einmal zum Thema, nun explizit unter den Vorzeichen des modernen Bauens und als tendenziell ungegenständlicher Bauschmuck.