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Ausgegraben: A Wall to Paint On von Ione Robinson (1946)

abbildung Ione Robinson ist vorallem als Modell Diego Riveras (als «Continencia» im Werk «Salud y Vida») und Tina Modottis bekannt. Sie hat jedoch einen autobiographischen Briefroman hinterlassen, der den mexikanischen und US-amerikanischen Muralismus und einige ihrer wichtigsten Protagonisten sehr lebendig und zum Teil in weniger bekannten Aspekten schildert.

Die 1910 in Portland, Oregon geborene Robinson reiste 1929 mit Empfehlungsbriefen unter anderem des Anwalts und Malers George Biddle, der 1934 Initiator der Public Works of Arts Projects wurde, zu Diego Rivera nach Mexico City. Dort verbrachte sie einen äusserst ereignisreichen Sommer, der sie für ihr gesamtes Leben prägen sollte.

Rivera hatte zu diesem Zeitpunkt bereits einige seiner Hauptwerke realisiert, so etwa die Zyklen des Erziehungsministeriums und die Ausmalung der Kapelle in der Agrarschule von Chapingo. 1929 begann er seine Arbeit an den Zyklen im Nationalpalast und im Cortez-Palast in Cuernavaca, die seine Position innerhalb der Muralistenbewegung und sein Renommée als Maler beträchtlich verändern sollten. Zu langjährigen Weggefährten, die ihm bei der Ausführung dieser Werke halfen, kamen laufend neue hinzu, darunter immer wieder US-amerikanische Staatsbürger wie Pablo O'Higgins oder Victor Arnautoff, welch letzterer später als Vermittler und Mitarbeiter Riveras in San Francisco diente und der Koordinator des grössten PWAP-Projekts, der Ausmalung des Coit-Tower in San Francisco wurde. O'Higgins wiederum spielte eine zentrale Rolle in der Realisation der Gemälde des Mercado Abelardo Rodríguez (ab 1933), an der erneut mehrere US-AmerikanerInnen beteiligt waren.

Zunächst assistierte Robinson in Riveras «Epopeya»-Projekt. Dieser Beschreibung können wir entnehmen, dass Rivera neben erfahrenen Malern wie Ramón Alva Guadarrama mehrere indianische Handlanger zur Verfügung hatte. Robinson wurde wohl bei der Übertragung der Kartons und bei der Ausführung von grossen Flächen beigezogen.

In das soziale Leben Mexicos wurde Robinson durch die Fotografin Tina Modotti eingeführt, die nicht zuletzt dank ihrer Ehe mit Edward Weston die englische Sprache beherrschte und dem vollkommen des Spanischen unkundigen Neuankömmling Unterkunft und weitere Hilfe bot. Ebenfalls über Modotti lernte Robinson David Alfaro Siqueiros kennen, der ihre Wege später in New York und in Barcelona kreuzen sollte und in ihrer Chronik eine wichtige Rolle spielt. Siqueiros war gerade aus Argentinien zurückgekehrt und hielt mit seinen «profetischen» Auftritten offenbar grosse Gesellschaften in Bann. Ebenfalls in Siqueiros' Entourage befand sich der junge New Yorker Journalist Joseph Freeman, der Mexikos TASS-Agentur unterhielt. Trotz grosser Gräben zwischen dem Weltverständnis des Kommunisten Freeman und der mittelständisch geprägten, weltoffenen Robinson liierten sich die beiden und schlossen eine (kurz andauernde) Ehe.

Zwei Ereignisse bewogen Ione Robinson, Mexiko nach ein paar Monaten wieder zu verlassen. Ihr Engagement als Aktmodell für Riveras Werk im Gesundheitsministerium soll die nahezu gleichaltrige Frieda Kahlo zu höchsten Eifersuchtsszenen veranlasst haben. Zugleich präsidierte Robinsons Fiancé Freeman das Parteiausschlusstribunal der mexikanischen Kommunisten (anlässlich Riveras Übernahme des Auftrags Dwight Morrows für die Ausmalung in Cuernavaca). Rivera soll später geäussert haben, Robinson selber hätte seinen Parteiausschluss in Gang gesetzt.

Zurück in Los Angeles stellte sie gleichenjahrs Zeichnungen aus und versuchte, einen Wandbildauftrag des Los Angeles Museum für Rivera zu generieren, der allerdings beim konservativen Board keine Gnade fand. Eine zweite (ebenfalls unglückliche) Ehe mit dem Magnaten John Dallet, die Robinson nach der Trennung von Joe Freeman schloss, brachte ihr zwar ein materiell sorgenfreies Leben und Reisen nach Europa ein, schloss sie aber gleichzeitig von einer direkten Teilnahme an WPA-Kunstprojekten aus, da sie weder bedürftig noch künstlerisch arriviert war. Durch Freiwilligenarbeit und als New Yorker «Anlaufstelle» ihrer mexikanischen Bekannten stand sie dennoch mit dem muralistischen Geschehen in den USA in Verbindung. Aussergewöhnliche Schilderungen verdanken wir ihrer zeitweiligen Präsenz in Barcelona während des Bürgerkriegs, die sie mit Zeichnungen und Fotografien und durch ihre Berichte dokumentierte. Die gesellschaftliche Athmosphäre im Berlin der nationalsozialistischen Herrschaft und Hermann Görings Repräsentationsarchitektur beschrieb sie anlässlich eines durch die US-amerikanische Journalistin Dorothy Oeschner vermittelten Kurzbesuchs 1938. Die Chronik endet am 9. September 1939 in Erwartung der Genehmigung, aus Le Havre auszureisen, mit der Schilderung, wie ein alter Pole auf der Place Saint-Roch ein polnisches Dorf nach dem andern auf einer Wandtafel auswischt.