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Entlang Charles L'Eplatteniers' monumentalem Werk: eine Spurensuche im Kanton Neuenburg

von Alex Winiger, Januar 2018

Der Maler und Bildhauer Charles L'Eplattenier ist am ehesten als Begründer einer eigentlichen Gestalterausbildung an der Ecole d'art in La Chaux-de-Fonds zwischen 1897 und 1914 und als Lehrer von Charles-Edouard Jeanneret, später Le Corbusier, breiter bekannt. In dieser Zeit nahm er eine zentrale Rolle in der Ausbildung eines regionalen Jugendstils, des «style sapin», ein, besonders schön ablesbar an der von ihm zusammen mit René Chapallaz entworfenen Villa Fallet und der Innenausstattung des Krematoriums von La Chaux-de-Fonds von 1910.

Aufgrund seines umfangreichen Oeuvres, das er als selbständig erwerbender Künstler zwischen 1914 und 1946 schuf, haftet das Image eines eher konservativen, verspätet «hodlerschen» Malers an ihm. Seine Vernetzung in einem ausgesprochen konservativen Kontext der 1920er- und 1930er-Jahre, mit patriotischen und kirchlichen Monumentalaufträgen, mag zu diesem Image beigetragen haben. Sicher hat er mit solchen Werken den breiten helvetischen Konsens der Zwischenkriegszeit bedient. Anderseits hat er wohl als einziger Schweizer Maler die Grenzbesetzung während des Ersten Weltkriegs in packenden und wohl einigermassen realistischen Darstellungen monumental verewigt. Die Qualität seiner koloristisch berückenden und solide komponierten Landschaftsgemälde steht ausser Frage.

L'Eplattenier schuf knapp zwanzig Monumentalbilder sowie einige plastische Werke wie das Monument für die Märzrevolution auf der Place de l'Hôtel de Ville in La Chaux-de-Fonds oder das Soldatendenkmal auf Le Rangier. Die folgende Tour, ausgehend von Neuenburg und in L'Eplatteniers Wirkungszentrum La Chaux-de-Fonds endend, lädt zum Besuch einiger dieser Werke ein. Dabei sollen Seitenblicke zu lohnenden Werken anderer Künstler "am Weg" nicht unterlassen werden.

Musée de l'art et d'histoire, 1 esplanade Léopold-Robert, Neuchâtel

Nur noch zwei der frühen, an der Schwelle eines böcklinschen zum mehr hodlerschen Symbolismus stehenden Monumentalgemälde L'Eplatteniers haben überlebt, beide in der Sammlung des Musée d'art et d'histoire in Neuenburg: die "Reine Berthe" von 1896 und sein Kriegerzyklus für den "Ancien stand des armes réunis" in La Chaux-de-Fonds (um 1900). Möglicherweise befinden sie sich gerade im Depot. Der Besuch im MAHN lohnt sich so oder so. Das Treppenhaus ist ein Prachtexemplar einer Jugendstilausstattung, mit allegorisch überhöhten Darstellungen des Handels, der Landwirtschaft und der Industrie von Paul Robert und Clement Heaton und üppigen Dekorationen.

Case à chocs (ehemalige Brasserie Muller), «Bierstübli» im Brauturm (salon de dégustation), Evole 39, Neuchâtel (Zutritt in Veranstaltungsbüro der Case à chocs erfragen)

Bereits mitten in seiner "klassischen" Arbeitsphase stehend, griff L'Eplattenier in seinem Zyklus für die Brauerei Muller nochmals auf sein symbolistisches Repertoire zurück und schuf einen formsicheren, sehr repräsentativen Wandbildschmuck für das Art déco-Interieur, das in einem markanten Kontrast zum beherbergenden Industriegebäude steht.

Das Kulturzentrum Case à chocs ist seit seiner Entstehung in den 1990er-Jahren auch ein Zentrum des Graffiti. Viele der ursprünglichen Bemalungen wurden vor ein paar Jahren überstrichen. Seither wird das Dekorationsprogramm kuratiert, es finden sich Werke unter anderem von Broken Fingaz aus Israel.

Schloss Colombier, Rittersaal und Waffensaal, Millevigne NE

Im Auftrag seines Kommandanten Robert-Ferdinand-Treytorrens de Loÿs und privat finanziert von diesem realisierte L'Eplattenier während seines Aktivdienstes ab 1916 den monumentalen Zyklus zur Mobilisierung und Besetzung der Westgrenze während des Ersten Weltkriegs. Das Werk steht in der Schweiz singulär da, insbesondere in dieser Ausführungsqualität. Der Künstler soll für dessen Ausführung zeitweise Tag und Nacht frierend im Schloss verbracht haben.

Einen Stock höher führte L'Eplattenier zusammen mit seiner Tochter Judith Schmied-L'Eplattenier in den Jahren vor und während des Zweiten Weltkriegs einen Zyklus zum Geschichtsmythos der Eidgenossenschaft aus, für dessen Finanzierung er eigens die «Association des amis du château de Colombier» initiierte (die heute noch besteht). Wenn dieser sich auch thematisch im Mainstream der geistigen Landesverteidigung der Zwischenkriegszeit bewegt, so ist er in seiner markigen Darstellungsweise doch eindrücklich und sehenswert. Der Meister beherrscht die Wände des Waffensaales mühelos.

L'Eplattenier plante für eine Lunette oberhalb eines Tors im Burghof ein Memorial für die Schweizergarde, die 1792 bei der Verteidigung des Königs Louis XVI aufgerieben wurde. Bei der Vorlage des Entwurfs 1944 war L'Eplattenier mit dem Kommandanten der Kaserne Colombier und Präsidenten der «Amis» Oberst Edmond Sunier bereits zerstritten und konnte sich nicht mehr leicht durchsetzen. 1946 verunglückte er auf einer Malexkursion in den Felsen am Doubs bei Les Brenets tödlich. Das Mosaikprojekt wurde nicht weiterverfolgt. Der 1:1-Karton dazu befindet sich im Büro des aktuellen Kommandanten der Kaserne und kann auf Anfrage eventuell besichtigt werden.

Der Museumsbereich des Schlosses wird zurzeit nicht kuratiert. Informationen zum Zutritt müssen bei der kantonalen Verwaltung Neuenburg erfragt werden.

Gemeindeverwaltung (administration communale), Chemin des Draizes 2, Cortaillod NE

Für die Textilkünstlerin Blanche Bovet in Areuse entwarf L'Eplattenier in den 1930er-Jahren eine Reihe von Tapisserien, die sich vermutlich nach wie vor im Besitz der Familie Bovet befinden. Zwei Kartons schmücken die Wände von Sitzungszimmern der Gemeindeverwaltung des benachbarten Cortaillod. Während den Öffnungszeiten sollte in Absprache mit der Gemeindekanzlei ein Zutritt zu erreichen sein, sofern die Räume nicht belegt sind.

Musée ethnographique, 4, rue Saint-Nicolas, Neuchâtel

Auf dem Weg in Richtung Montagne sollte in Neuenburg dem Musée ethnographique die Ehre erwiesen werden. Hier gibt es zwei grosse Werke von Hans Erni aus den 1950er-Jahren zu sehen, die auch den Verächter gnädig stimmen können. Wen sie nicht umstimmen, der kann sich immer noch mit dem Besuch des schönen Museums oder einem Kaffee an grossartiger Lage über dem Neuenburger See schadlos halten.

Eglise protestante, Rue du Temple 1, Peseux NE; Eglise catholique, Rue Ernest-Roulet 13, Peseux NE

Die (leider in den 1930er- und 1960er-Jahren zu Tode sanierte) protestantische Kirche des Neuenburger Vororts Peseux enthält als einzigen Schmuck Kirchenfenster von L'Eplattenier und Etienne Tach. Viel sehenswerter sind allerdings, einige Strassenzüge weiter, die Kirchenfenster der katholischen Kirche des Basler Künstlers Coghuf. Für die Besichtigung des «Temple» sollte mit der Kirchenpflege ein Termin vereinbart werden. Die katholische Kirche ist üblicherweise frei zu besichtigen.

Temple protestant, Coffrane NE

Der «Temple» von Coffrane im Val de Ruz ist normalerweise verschlossen, wird vom Sigrist, der zugleich der Schulhausabwart der Gemeinde ist, auf Vereinbarung gerne geöffnet. Die (sehenswerten) Gemälde L'Eplatteniers waren noch vor Kurzem (2013) ziemlich vernachlässigt. Der Dornröschenschlaf der Kirche und des dazugehörenden Dorfs hat allerdings auch seinen Reiz.

Musée des beaux-arts, rue des Musées 33, La Chaux-de-Fonds

In La Chaux-de-Fonds angekommen, gilt der erste Besuch dem bahnhofsnahen Musée des beaux-arts. Das von L'Eplattenier zusammen mit René Chapallaz konzipierte Gebäude trägt einige Bauskulptur von L'Eplattenier selber. Die Eingangshalle ist jedoch ganz dominiert durch die wunderbaren Mosaike des neusachlichen L'Eplattenier-Schülers Charles Humbert. Ein Stock höher können einige der Landschaftsbilder L'Eplatteniers original besichtigt werden. Nicht ausgestellt sind leider seine Entwürfe für einige seiner frühen Monumentalgemälde, die sich in der Sammlung des Museums befinden.

Für Freunde der Nachkriegsmoderne ist die erstaunliche Sammlung von Gemälden des «Gruppo degli Otto» (unter anderem Giuseppe Santomasos) das Glanzlicht.

Synagoge, Rue du Parc 63, La Chaux-de-Fonds; Villa Fallet, chemin de Pouillerel 1, La Chaux-de-Fonds

Vom Museum geht's hangwärts zur Villa Fallet. Auf dem Weg dahin sollte unbedingt ein kleiner Abstecher zur Synagoge unternommen werden, die allerdings leider nur selten – im Rahmen öffentlicher Führungen – besichtigt werden kann.

Die hoch über der Stadt gelegene Villa Fallet wurde von Charles L'Eplattenier als Studienobjekt gemeinsam mit seinen Studenten, unter anderem Charles-Edouard Jeanneret und Jean-André Evard (von dem die Fassadendekoration stammt), entwickelt. Im Gegensatz zu der (nahe gelegenen) Villa Schwob Le Corbusiers oder dessen Maison Blanche kann sie kaum besichtigt werden. Es handelt sich um ein privates Wohnhaus. Bereits das Äussere vermittelt allerdings einen Eindruck zum Gestaltungsverständnis des «Style sapin».

Bibliothèque de la ville (ancien collège technique), rue du Progrès 33, La Chaux-de-Fonds

Charles Humbert lässt in diesem herausragenden Werk der Schweizer Neuen Sachlichkeit im ehemaligen Sitzungsraum des Collège technique das Bürgertum La Chaux-de-Fonds als Darsteller eines Weltteaters auftreten. Der Zutritt muss an der Rezeption der Bibliothek erfragt werden.

Etwas bescheidener, im Treppenhaus des ersten Obergeschosses, versteckt sich ein Anklang an die italienische Nachkriegskunst (ähnlich der zuvor gesehenen im Musée des beaux-arts) von Carlo Baratelli.

Crématoire, rue de la Charrière 106, La Chaux-de-Fonds

Mehr noch als die klassisch anmutenden Mosaike an den Fassaden von Charles L'Eplattenier und seinen beiden Töchtern ist die fünfzehn Jahre zuvor ausgeführte Innenausstattung von Jean-André Evard mit den Gemälden von L'Eplattenier zu Recht ein Vorzeigestück des baukünstlerischen Erbes der Stadt. Am besten wird der Innenraum im Rahmen einer Führung besichtigt, noch besser in Begleitung eines Kirchenorganisten, der in der Lage ist, die schauerliche Stimmung heraufzubeschwören, die das Entweichen der Seele durch die an den Wänden entlangführenden Kamine «vers l'au-delà» begleiten soll.