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dieser beitrag wurde verfasst in: deutsch (ger/deu/de)

Wandertour zu den bemalten Dörfern in der Montagna varesina

von Alex Winiger, Mai 2017

Die Bewegung der «borghi dipinti» Italiens hat ihren Ursprung in einer Initiative der Tourismusbehörde von Varese Mitte der 1950er-Jahre, einen neuen Anziehungspunkt in den sich entvölkernden Bergdörfern des Varesotto zu schaffen. Das Dorf Arcumeggia in der Valcuvia machte 1956 den Anfang. Das Ziel war es nicht nur, möglichst prominente Kunstmaler aus ganz Italien für das Projekt zu gewinnen, sondern diese in einer eigens geschaffenenen «Casa del pittore» unterzubringen und zu verpflegen. Die Maler unterrichteten in Sommerkursen und realisierten eigene Werke, zumeist Fresken.

Weitere Dörfer schlossen sich der Initiative an, vornehmlich in den 1970er- und 1980er-Jahren. Die Themen kreisen um das traditionelle Handwerk und die Religion. Auch die Emigration wird manchenorts dargestellt. Landschaften, florale Motive und vereinzelte ungegenständliche Darstellungen sind ebenfalls zu finden.

Heute sind in ganz Italien ungefähr 160 Orte der Vereinigung der bemalten Dörfer (Associazione Paesi Dipinti Italiani, mit Sitz in Varese) angeschlossen. Ungefähr 300 gibt es, darunter auch das legendäre Projekt Francesco de Casinos, das sardische Dorf Orgosolo, das in Italien jeder kennt und das im Internet als einer der ersten Treffer zum Stichwort «Muralismus» erscheint.

Die «borghi dipinti» führen in Italien eine Tradition der Malerei im öffentlichen Raum jenseits des Monumentalismus der 1930er-Jahre fort. Die Bewegung hat einen volkskünstlerischen Charakter, ausgereifte Werke gestandener Kunstmaler stehen neben denjenigen von Amateuren, Sommerkursbesuchern und Kindern.

Da die Dörfer naturgemäss eher abgelegen und mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht sehr gut erschlossen sind, bieten sie sich für den Besuch im Rahmen von Wandertouren an. Dies – den Tourismus in die Dörfer zu bringen und so eine Lebensgrundlage für die Ansässigen zu schaffen – war ja auch die ursprüngliche Intention der Initiative des EPTV. Für den Kunstmaler bietet der Besuch der Werke mannigfache Anschauung, wie die Integration von Werken in einem komplexen architektonischen Umfeld gelingen kann. Eine «Synthèse des arts plastiques» ist es nicht – eher ein improvisiertes und manchmal wirres Zusammenspiel von komplexen Dorfbildern und einer Galerie verschiedenartigster Gemälde an den Fassaden. Wir befinden uns hier allerdings auch gutitalienisch unbekümmert und angenehm provinziell weit entfernt von angestrengten KiöR-Lösungen.

Ausrüstung

Neben leichter Wanderkleidung mit gutem Sonnenschutz sollten auf jeder Tagestour drei Liter Wasser dabei sein. Ausserhalb der Dörfer gibt es keine Möglichkeit, Wasser zu finden.

Die Schweizer Landeskarten "Malcantone" und "Chiasso" geben einen ungefähren Anhaltspunkt zu Topografie und Wegführung. Sie scheinen aber auf veralteten Daten zu beruhen. Existierende Wege und Pfade sind oftmals nicht eingetragen, während eingetragene Wege manchmal kaum mehr begehbar sind. Ideal wären neuere italienische Tourismuskarten mit den eingetragenen AV- oder 3V-Routen in Kombination mit Swiss Map Mobile für die Ortung.

Tourenvorschlag

1. Etappe: MaccagnoRuno – Dumenza – Trezzino – Astano – Sessa – Ponte Cremenaga – Cremenaga – Colle della Nave – Grantola

Abbildung Etappe 1

Falls der Aufenthalt in Maccagno etwas ausgedehnt werden kann, bietet sich eine separate Exkursion in das nahe gelegene Cadero an. Der Weiler liegt sehr nahe von Agra, kann aber nicht in die Tour "eingebaut" werden, da ein tiefes Bergtobel ohne direkte Wegverbindung die beiden Orte trennt.

In Maccagno inferiore gibt es einige bemalte Tore und Türen zu sehen, die im Rahmen einer Aktion 2016 entstanden sind.

Die erste Hälfte der Route, von Maccagno nach Cremenaga, ist leicht zu gehen, ohne überaus anstrengende Auf- oder Abstiege (ausser es wird die Alternativroute über den Monte Clivio gewählt, siehe weiter unten). Der Weg von Cremenaga nach Grantola führt über den Monte Sette Termini oder den Colle della Nave, mit einem sehr langen und steilen Aufstieg und einem ebenso langen Abstieg (je ca. 1000 Meter Höhendifferenz). Da die Etappe sehr lang ausfällt (bei schnellem Gehen ca. 8 Stunden Wanderzeit), sollte sie eventuell in Cremenaga unterbrochen werden. Reizvoll wäre dann die etwas ausgiebigere Besichtigung der malerischen Dörfer Astano und Sessa. Auch in Sessa, das als Tessinerdorf nicht in den Reigen der italienischen «borghi dipinti» gehört, gibt es einige Wandgemälde zu sehen.

Alternativ: nach Dumenza via Monte Clivio und Termine nach Cremenaga. Der Weg ist streckenmässig kürzer und führt ausschliesslich über Wanderwege, vornehmlich im Wald, was bei Hitze vorteilhaft ist. Der Abstieg vom Monte Clivio ist allerdings sehr steil.

Der Ort Grantola verdankt den Titel eines «borgo dipinto» der etwas prosaischen Serie von neun Bildtafeln, die 2013 entstanden und entlang einer Mauer am Rand des Ortskerns angebracht wurden. Interessanter sind die urtümliche, stark ausgemalte Kirche von San Carlo und direkt dahinter der Palazzo de Nicola mit seinen Bemalungen aus dem 19. Jahrhundert. Grantola ist sonst nicht überaus reizvoll, bietet aber eine attraktive Übernachtungsmöglichkeit in Form des B&B Villa Sarchi, eines herrschaftlichen, noch vollkommen original eingerichteten Landhauses in einem schönen Park.

Abbildung Weg nach Agra Abbildung Kapelle Abbildung Agra Abbildung Runo Abbildung Santuario di Trezzo Abbildung Astano Abbildung bei Sessa Abbildung Sessa Abbildung Ponte Cremenaga Abbildung Kirche in Grantola

2. Etappe: Grantola – Ferrera di Varese – Cassano Valcùvia – Monte San Martino – Arcumeggia

Abbildung Etappe 2

Der Schreibende wählte von Grantola den Weg über Mesenzana nach Cassano. Das ist nicht empfehlenswert, da ein grösseres Wegstück der SS 394 entlang führt. Von Grantola aus führt alternativ (auf der gleichen Talseite) ein Weg nach Ferrera di Varese, von dort über eine kleinere Strasse über den Torrente Rancina nach Cassano.

Der beste Weg nach Arcumeggia führt über den Monte San Martino. Der Weg ist ausgeschildert und markiert. Alternative tieferliegende Wege sind wegen dem vielen Laub in den Wäldern schwer zu sehen, führen teilweise durch dichtes Unterholz und steiles Gelände und sind deshalb nur langsam zu erwandern. Sie lohnen sich als "Abkürzung" nicht.

Am unteren Ortsausgang von Arcumeggia liegt die Locanda del pittore, eine einfache Pension, die von den perfekten Gastgebern Alfonso Bonfanti und Ehefrau geführt wird. Er wird den Wanderer mit gutem Essen und Wein stärken und versuchen, ihm das Weiterwandern auszureden.

Abbildung Kirche in Cassano Abbildung Cassano Abbildung Monte San Martino Abbildung Monte San Martino Abbildung Lago Maggiore Abbildung Arcumeggia

3. Etappe: Arcumeggia – Vergobbio – Cuvio – Orino – Forte di Orino – Monte Campo dei Fiori – Santa Maria del Monte

Abbildung Etappe 2

Der Abstieg nach Vergobbio folgt zunächst der gewundenen Bergstrasse. Bald geht ein Waldweg links ab. Von Vergobbio nach Cuvio führt der Weg durch unansehnliche Kleinhaussiedlungen und Industrieareale. Am oberen Ende Cuvios gibt es links des Bachlaufs einen idyllischen Pfad (auf der Karte nicht eingezeichnet), der schliesslich in den Waldweg und später in das Strässchen nach Orino führt. Oberhalb des zentralen Dorfplatzes von Orino zeigen Wegweiser den Weg zum Forte di Orino (respektive E/1) an, der uns auf den Monte Campo dei Fiori führen wird. Der Waldweg ist nicht zu verfehlen und sehr gut markiert. Ungefähr ab halber Höhe wird er zum steilen Gratweg. Der Lohn für den anstrengenden (aber relativ raschen Aufstieg) ist ein atemberaubender Rundblick von der Burgruine Orino über das ganze Gebiet zwischen Lago Maggiore, Lago di Lugano und Lago di Varese. Die bisherige Route ist hier vollständig zu überblicken.

Die folgende, leicht abfallende und bequeme Waldstrasse durch den Naturpark des Campo dei Fiori, lange mit Ausblick nach Süden, führt in knapp zwei Stunden nach Santa Maria del Monte. Dort gibt es zahlreiche Verpflegungsmöglichkeiten, Sehenswürdigkeiten und die Wahl zwischen der bequemen Talfahrt mit dem Funicolare oder dem Abstieg entlang der Kapellen des Sacro Monte di Varese. Spätestens am Fuss des Bergs sollte der Bus ins noch recht weit entfernte Zentrum von Varese bestiegen werden.

Wenn der Wanderer die urbane Zwischenstation vermeiden möchte, gäbe es die Möglichkeit, in Santa Maria del Monte selber zu übernachten und nächstentags über Brinzio und Ganna zu Fuss nach Boarezzo zu gelangen.

Abbildung Cuvio Abbildung Orino Abbildung Campo dei Fiori Abbildung Monte Tre Croci Abbildung Sacro Monte

4. Etappe: Ghirla – BoarezzoMarchirolo – Cadegliano – Ponte Tresa

Abbildung Etappe 2

In und um Varese befinden sich die «borghi dipinti» Penasca di San Fermo und Induno Olona im Nordosten, Peveranza di Cairate im Süden und Fignano di Gavirate im Westen, die am besten im Rahmen eines etwas ausgedehnteren Aufenthalts in Varese erkundet werden.

Um noch zwei der bedeutenden «borghi dipinti» in eine leichte Tagestour packen zu können, entschied sich der Schreibende für die Anfahrt per Regionalbus N10 von Varese nach Ghirla. Wer die Tour durch die Hügel gar nicht erst durch einen urbanen Aufenthalt unterbrechen möchte, kann mit der selben Linie bereits am Vorabend nach Ganna fahren, wo es eine schöne Übernachtungsmöglichkeit gibt (Albergo Tre Risotti) und das als Ausgangspunkt nach Boarezzo ebenfalls gut geeignet ist.

Alternativ könnten Marchirolo und Boarezzo auch von Grantola (vgl. 1. Etappe) her erwandert werden, das nicht weit entfernt liegt. Ebenfalls in der Gegend befindet sich Masciago Primo, ein weiteres bemaltes Dorf.

Von der Busstation im kleinen Bel-Epoque-Bahnhof von Ghirla geht's zum oberen Ortsrand, wo der Waldweg nach Boarezzo beginnt. Das letzte Stück führt der (verkehrsarmen) Strasse entlang.

Boarezzo ist ein Flecken, der sich praktisch um eine einzige Zufahrtsstrasse gruppiert, die von der Strasse nach Monte Marzio abgeht. Der Ort besitzt eine Handvoll eher mittelmässiger Bildtafeln von Künstlern aus den 1980er-Jahren sowie eine Openair-Galerie mit Vogel- und Schmetterlingsbildern von Kindern. Die «Vereinigung der Freunde von Boarezzo» ist aber sehr rührig, es ist leicht, mit den Ortsansässigen ins Gespräch zu kommen.

Um nach Marchirolo zu abzusteigen, muss man zunächst die Strassenkurven bis zum bereits bekannten Waldweg zurückgehen. Statt nach links abzusteigen, muss aber der leicht absteigende Weg geradeaus gewählt werden. Dieser erweist sich bald als überwachsener, schwer sichtbarer Pfad, den man leicht verlieren kann (die elektronische Navigation ist hier hilfreich). Auch an Orten, wo der Plan klar einen durchgehenden Weg angibt, ist in der Realität manchmal nur eine schwach erkennbare Spur durch das Unterholz, Bäche und Geröll zu sehen, oft in steilem Gelände. Auch mit Umwegen und Irrtümern gelangt man schliesslich zum Strässchen, das zur Superstrada und danach in den schönen Ortskern von Marchirolo hineinführt, dem zweitbedeutendsten «borgo dipinto» der Tour. Die Bilder ballen sich allerdings eher in der nördlichen Peripherie des Ortes, im eigentlichen Zentrum sind ein paar religiöse Darstellungen und dekorative Bemalungen und eine prominent über dem Ort tronenden Barockkirche zu finden.

Die Tour kann nun mit einer bequemen Busfahrt nach Ponte Tresa oder zurück nach Varese abgeschlossen werden. Alternativ ist Ponte Tresa in einer Stunde Fussmarsch via Cadegliano zu erreichen. Der Weg von Marchirolo nach Cadegliano führt der Strasse entlang (und, an der Ortsgrenze, an einer Osteria vorbei). Am unteren Ortsrand von Cadegliano führt ein kleiner Pfad zwischen den letzten Wohnhäusern (eingezeichnet auf der Schweizer Landeskarte) durch den Wald steil hinunter nach Ponte Tresa.

Abbildung Boarezzo Abbildung Boarezzo Abbildung Boarezzo – Marchirolo Abbildung Marchirolo Abbildung Cadegliano Abbildung Pfad nach Ponte Tresa Abbildung Abstieg nach Ponte Tresa